Monat: März 2024

  • Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810

    Eines der ersten Umweltgesetze

    Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810 gilt als eines der ersten umfangreichen „Umweltgesetze“. Zwar gab es bereits zuvor zumeist lokale oder regionale Regelungen, die den Bau und Betrieb von Einrichtungen behandelte, die als „belastend“ galten, aber keine auf „nationaler“ Ebene. Ähnlich verhielt es sich in anderen Staaten. Dadurch, dass ab 1791 die alte „royale“ Gesetzgebung in Frankreich nach und nach abgeschafft oder reformiert wurde, kam es zu Gesetzeslücken. Die proklamierten Freiheitsrechte – insbesondere hinsichtlich des Privatbesitzes – führten ebenso zu einem Anstieg von Emissionen. Wer eine Fabrik besaß, sollte damit machen können was er wollte. Wenngleich die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden Umweltbelastungen nicht zuletzt durch die gesteigerte Kriegsproduktion während der französischen Expansion an bestimmten Orten für die dort lebenden Menschen unerträglich. Daher war es notwendig, eine umfassende Regelung auf den Weg zu bringen:

    Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810 gilt als eines der ersten umfangreichen „Umweltgesetze“. Zwar gab es bereits zuvor zumeist lokale oder regionale Regelungen, die den Bau und Betrieb von Einrichtungen behandelte, die als „belastend“ galten, aber keine auf „nationaler“ Ebene. Ähnlich verhielt es sich in anderen Staaten. Dadurch, dass ab 1791 die alte „royale“ Gesetzgebung in Frankreich nach und nach abgeschafft oder reformiert wurde, kam es zu Gesetzeslücken. Die proklamierten Freiheitsrechte – insbesondere hinsichtlich des Privatbesitzes – führten ebenso zu einem Anstieg von Emissionen. Wer eine Fabrik besaß, sollte damit machen können was er wollte. Wenngleich die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden Umweltbelastungen nicht zuletzt durch die gesteigerte Kriegsproduktion während der französischen Expansion an bestimmten Orten für die dort lebenden Menschen unerträglich. Daher war es notwendig, eine umfassende Regelung auf den Weg zu bringen:

    Napoleon, Kaiser der Franzosen, König von Italien, Schützer des Rheinischen Bundes, Vermittler der Schweiz etc. , etc. , etc.

    Auf den Bericht unseres Ministers vom Innern; Eingesehen die Beschwerden verschiedener Partikularen gegen die Manufakturen und Werkstätten, deren Nutzung ungesunde oder widrige Ausdunstungen veranlassen; Den Bericht, der über diese Anstalten von der Chimiesection der Klasse der physischen und mathematischen Wissenschaften des Instituts erstattet worden; Nach Anordnung unseres Staatsrathes; Haben Wir dekretiert und dekretieren folgendes:

    Erster Artikel: Von Verkündigung dieses Dekrets an, dürfen die Manufakturen und Werkstätten, welche einen ungesunden oder widrigen Geruch verbreiten; nicht mehr ohne Erlaubniß der Verwaltungsbehörden angelegt werden […]1

    Hervorzuheben ist dabei der Fokus auf den Geruch der Emissionen. Dies erklärt sich daraus, dass zu dieser Zeit noch keine ausreichenden Messmethoden und damit Grenzwerte für bestimmte schädliche Stoffe gab. Die einzige „verlässliche“ aber eben auch subjektive Messmethode war der Geruchssinn. Gleichzeitig glaubte man, dass sich Krankheiten durch sogenannte Miasmen verbreiteten, Ausdünstungen, die bei der Zersetzung organischer Stoffe freigesetzt würden. Diese Theorie ging auf den antiken griechischen Arzt Hippokrates von Kos zurück und wurde von den Gelehrten der Aufklärung rezipiert, blieb unter Medizinern jedoch bis in die 1870er Jahre relevant, als sich die Erkenntnisse der Bakteriologie verbreiteten.

    Eine für das Dekret direkt relevante Erkenntnis der Aufklärung war jene, dass saure Gase angeblich eben jene Miasmen desinfizierten. Diese Desinfektionsmethode wurde unter anderem durch die Veröffentlichung Traité des moyens de désinfecter l’air verbreitet. Das 1801 erschienene Buch stammte aus der Feder von Louis-Bernard Guyton de Morveau. Je ein Exemplar wurde durch den damaligen Innenminister Jean-Antoine Chaptal (Innenminister von 1800 bis 1804), ebenfalls Chemiker, an alle französische Präfekten gesendet.2 Auch im deutschsprachigen Raum fand das Werk durch eine Übersetzung des Mediziners Franz-Heinrich Martens zahlreiche Leser. Chaptal und Morveau waren außerdem an einem Gutachten beteiligt, das die Schädlichkeit von Fabriken in Hinblick auf die Ausarbeitung einer Regelung zu deren Errichtung einschätzen sollte. Da Chaptal selbst Fabrikbesitzer war, ist es wenig verwunderlich, dass das Urteil über deren Schädlichkeit milde ausfiel. Mehr noch, er warnte vielmehr vor zu vielen Regulierungen, da dies die wirtschaftliche Entwicklungen einschränken würde. Die Beschwerden über Fabrikemissionen mehrten sich jedoch spätestens ab Beginn der Kontinentalsperre 1806 und der damit hochgefahrenen industriellen Produktion. Ein neues Dekret sollte daher ausgeglichener sein und sowohl die Interessen der Anwohner sowie der Industriellen berücksichtigen.3

    Das Dekret vom 15. Oktober 1810 teilte die Betriebe in drei Kategorien ein. Die erste Kategorie umfasste diejenigen Fabriken und Anlagen, die starke Gerüche ausstießen. Deren Errichtung musste in allen Gemeinden in einem Umkreis von fünf Kilometern publik gemacht werden, sodass die dort lebende Bevölkerung Einsprüche gegen den Bau der Betriebe erheben konnte. Sollten Einsprüche erhoben worden sein, wurde durch den Präfekturrat ein Gutachten erstellt, das wiederum dem Staatsrat vorgelegt wurde. Dieser sollte schließlich über die Genehmigung des Betriebs entscheiden. Die Errichtung von Fabriken in den beiden anderen Kategorien wurden auf lokaler Ebene entschieden, aber auch hier musste die Bevölkerung durch sogenannte commodo- und incommodo-Umfragen mit einbezogen werden. Die entsprechenden Betriebe wurden im Dekret explizit benannt und diese Liste wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig erweitert. Vor der Gültigkeit des Dekrets errichtete Anlagen genossen Bestandsschutz.

    Die Regelungen galten in Frankreich mit Anpassungen bis 1917. Als Teil der französischen Gesetzgebung behielt das Dekret auch in allen linksrheinischen Départements nach dem Machtwechsel 1815 Gültigkeit und wurde dort erst durch neue Gewerbeordnungen abgelöst. Die preußische Gewerbeordnung von 1845 orientierte sich dabei stark am französischen Recht und wurde durch das napoleonische Dekret beeinflusst. Festzuhalten ist außerdem, dass das Dekret vom 15. Oktober 1810 keine allumfassende Regelung gegen negative Umwelteinflüsse darstellte. Es ging vorrangig um Geruchsbelästigungen. Wasserverschmutzung, Bodenkontamination, Lärm oder Arbeitsschutz spielten darin keine Rolle. Es finden sich jedoch in den Einwendungen der betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner durchaus Argumente, die andere negative Faktoren miteinbeziehen. Wenngleich das Dekret bei weitem nicht perfekt war, stellt es doch einen ersten Versuch dar einen Interessensausgleich zwischen Betroffenen und Industrie zu schaffen sowie allen Beteiligten eine Partizipationsmöglichkeit zu bieten. Das Ausmaß der Industrialisierung war 1810 kaum zu erahnen und damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt ebenso wenig.

    Quellen

    o.A., Präfektur-Acten des Rheindepartements. Dritter Jahrgang 1812. Düsseldorf 1812.

    Guyton de Morveau, Louis-Bernard/Martens, Franz Heinrich, Abhandlung über die Mittel die Luft zu reinigen, der Ansteckung zuvorzukommen und die Fortschritte derselben zu hemmen. Weimar 1802.

    Literatur

    Jarrige, François/Le Roux, Thomas, The Contamination of the Earth. A History of Pollutions in the Industrial Age. Übersetzt von Janice Egan und Michael Egan. Cambridge, MA 2020.

    Massard-Guilbaud, Geneviève, Histoire de la pollution industrielle. France, 1789 – 1914. Paris 2010.


    1. Präfectur-Acten des Rheindepartements vom Jahr 1812, 183. ↩︎
    2. Jarrige/Le Roux, Contamination, 65-69. ↩︎
    3. Jarrige/Le Roux, Contamination, 77-79. ↩︎