Beginn der Industrialisierung an der Saar

Wir hörten von den reichen Duttweiler Steinkohlengruben, von Eisen- und Alaunwerken, ja sogar von einem brennenden Berge, und rüsteten uns, diese Wunder in der Nähe zu beschauen. […]
Hier fand sich eine zusammenhangende [sic!] Ofenreihe, wo Steinkohlen abgeschwefelt und zum Gebrauch bei Eisenwerken tauglich gemacht werden sollten; allein zu gleicher Zeit wollte man Öl und Harz auch zu Gute machen, ja sogar den Ruß nicht missen, und so unterlag den vielfachen Absichten alles zusammen. Bei Lebzeiten des vorigen Fürsten trieb man das Geschäft aus Liebhaberei, auf Hoffnung; jetzt fragte man nach dem unmittelbaren Nutzen, der nicht nachzuweisen war.
Nachdem wir unsern Adepten seiner Einsamkeit überlassen, eilten wir – denn es war schon spät geworden – der Friedrichsthaler Glashütte zu, wo wir eine der wichtigsten und wunderbarsten Werktätigkeiten des menschlichen Kunstgeschickes im Vorübergehen kennen lernten.
Doch fast mehr als diese bedeutenden Erfahrungen interessierten uns junge Bursche einige luftige Abenteuer und bei einbrechender Finsternis, unweit Neukirch [Neunkirchen, Anm.d.A.], ein überraschendes Feuerwerk. Denn wie vor einigen Nächten an den Ufern der Saar leuchtende Wolken Johanniswürmer [Glühwürmchen, Anm.d.A.] zwischen Fels und Busch um uns schwebten, so spielten uns nun die funkenwerfenden Essen ihr luftiges Feuerwerk entgegen. Wir betraten bei tiefer Nacht die im Talgrunde liegenden Schmelzhütten und vergnügten uns an dem seltsamen Halbdunkel dieser Bretterhöhlen, die nur durch des glühenden Ofens geringe Öffnung kümmerlich erleuchtet werden. Das Geräusch des Wassers und der von ihm getriebenen Blasbälge, das fürchterliche Sausen und Pfeifen des Windstroms, der, in das geschmolzene Erz wütend, die Ohren betäubt und die Sinne verwirrt, trieb uns endlich hinweg, um in Neukirch einzukehren, das an dem Berg hinaufgebaut ist
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Im Jahr 1770 weilte der junge Johann Wolfgang von Goethe für einige Sommertage in der Saarregion und begutachtete die damals vorhandene Industrie: Kohlebergwerke, Koksöfen, Glashütten und Eisenhütten. Die Gruben gingen ab 1751 – mit Ausnahme einiger zu den Eisen- und Glashütten gehörenden Bergwerken – alle in den Besitz des Fürsten von Nassau-Saarbrücken über. Dies blieb über die französische bis in preußische Zeit erhalten, sodass in der Region – anders als im Ruhrgebiet – fast ausnahmslos staatlicher Bergbau betrieben wurde.

Bei der von Goethe beschriebenen und nur kurz angesprochenen Abschwefelung der Kohlen handelte es sich um die Gewinnung von Koks, die an der Saar schon weit vorangeschritten war und für Kontinentaleuropa ohne gleichen war. Bei diesem Prozess wird die Steinkohle unter Ausschluss von Luft so stark erhitzt, dass alle flüchtigen Bestandteile entfernt werden. Das daraus gewonnene Koks brennt gleichmäßiger und vor allem „sauberer“, was für die Verhüttung von Eisenerz und die Gewinnung hoch qualitativen Eisens notwendig ist. Die „Liebhaberei“, wie Goethe es beschrieb, war ein wichtiger Meilenstein im Technologietransfer der Steinkohlenindustrie. Die Versuche wurden durch Antoine de Genssanes in seinem 1770 erschienenem Werk Traité de la fonte des mines par le feu du charbon de terre beschrieben. Er lobte dabei besonders, dass die gemachten Versuche öffentlich einsehbar waren, was untypisch für diese Zeit war. Die Versuche wurden jedoch nach dem Tod des Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken eingestellt. Bemerkenswert waren außerdem die Versuche die freiwerdenden Stoffe als Nebenprodukte zu gewinnen, ein Prozess, der erst viel später wirkliche Erträge bringen sollte.

Diese frühe Experimentierfreude wird sicherlich ihren Teil zum vorteilhaften Standortfaktor der Industrialisierung an der Saar beigetragen haben. Sicher ist jedoch, dass die Neuerungen während der französischen Zeit einen starken Einfluss darauf hatten. Der Code de Commerce und die damit einhergehende Gewerbefreiheit sowie die Nationalgüterverkäufe führten zu einem Wirtschaftsaufschwung sowie Technologievorsprung bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Erst danach überholten andere Industriereviere wie die Ruhr die gemachten Fortschritte an der Saar. Der primäre Sektor blieb lange Zeit relevant, da sich die industriellen Zentren nur auf engem Raum entlang der oberen Saar erstreckten, mit Ausnahme der Keramikindustrie in Merzig und Mettlach. Das Saarkohlebecken war nicht nur Heimat der Bergwerke, sondern auch weiterverarbeitender Industrie und Grenzorte wie St. Ingbert und gegen Ende des 19. Jahrhunderts Homburg entwickelten sich zu den wenigen industriellen Flecken der bayerischen Pfalz. Die Region blieb durch die Arbeit der preußischen Forstverwaltung stark bewaldet und viele Bergleute sowie Hüttenarbeiter betrieben im Nebenerwerb auf kleinen Flächen Landwirtschaft. Anders als an der Ruhr versorgten sich die Bergwerke und Hütten mit Arbeitskräften aus der näheren Umgebung, sodass das Schlafhauswesen und Pendeln über weitere Strecken ausgeprägt waren. Hinzu kam die Prämienhauspolitik des preußischen Bergfiskus, die von anderen Industriellen wie Stumm imitiert wurde, die jedoch nur einem Bruchteil der Arbeiterschaft zugute kam. Zu diesen Häusern gehörte auch immer ein größerer Garten, in dem für den Eigenbedarf Gemüse angebaut werden sollte.

Bestimmend für den Aufstieg der Saarregion als Industrierevier blieb die Kohle, die das solare Zeitalter ablöste und ein neues fossiles Energiesystem schuf. Die Auswirkungen auf die Umwelt waren vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zu spüren und die Hinterlassenschaften sind gleichfalls heute noch relevant.

Literatur

Banken, Ralf, Die Industrialisierung der Saarregion 1815 – 1914. Bd. 1: Die Frühindustrialisierung 1815 – 1850. Stuttgart 2000.

Banken, Ralf, Die Industrialisierung der Saarregion 1815 – 1914. Bd. 2: Die Take-Off-Phase und Hochindustrialisierung 1850-1914. Stuttgart 2003.

Ecker, Franz-Rudolf, Die Entwicklung des Bergrechts im Saarbrücker Steinkohlenrevier bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Ein Vergleich mit dem älteren deutschen Bergrecht. Frankfurt am Main 1997.

Toussaint, Friedrich, Die Bedeutung des Steinkohlenkokses für die Roheisen- und Stahlherstellung in der Geschichte, in: Michael Farrenkopf (Hrsg.), Koks. Die Geschichte eines Wertstoffes. Bochum 2003, 296–317.


  1. Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit- Erster und zweiter Teil. Zehntes Buch. Online unter https://www.projekt-gutenberg.org/goethe/dichwah1/chap011.html (Stand: 6.5.2024). ↩︎