Willkommen in der Hölle?


Eine Annäherung an die Geschichte der Saarregion

Den meisten wird das heutige Saarland vor allem als eines bekannt sein: als Maßeinheit. Ein Saarland entspricht 2.569,78km², oder um es in einer anderen beliebten Maßeinheit der Medien zu sagen: Ein Saarland entspricht fast 360.000 Fußballfeldern. Dieser Vergleich wird am liebsten bei Katastrophenmeldungen bemüht: ein Ölteppich…, ein Heuschreckenschwarm…, ein Waldbrand… alle so groß wie das Saarland. Es ist daher wenig verwunderlich, dass bereits Mitte des 19. Jahrhunderts von der Region als „Hölle“ gesprochen wurde, wohlgemerkt eine romantische Hölle, aber dazu kommen wir ein andermal.1

Als typische Grenzregion besitzt das Saarland eine sehr wechselhafte Geschichte. Der Begriff „Saarland“ und dessen heutige Grenzen wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen. In diesem ersten Blogpost will ich daher einen Parforceritt durch die Geschichte der politischen Zugehörigkeit jener Region wagen, die zum heutigen Bundesland werden sollte. Und keine Sorge, wir fangen nicht bei den alten Römern an. Nunja, zumindest nicht ganz…

Ancien Regime und Französische Revolution

Wir schreiben die letzten Jahrzehnte des Ancien Regimes. Die ganze Saarregion ist von Römern besetzt. Die ganze Region? Nein, eine von unbeugsamen Galliern Franzosen bevölkerte Festungsstadt hört nicht auf, dem Sonnenkönig zu huldigen… In der Tat blieb die 1680 auf Geheiß Louis XIV. und nach den Plänen von Vauban durch Thomas de Choisy erbaute Festungsstadt Saarlouis eine französische Exklave. Die restliche Region teilte sich in verschiedene kleinere und größere Fürstentümer auf. Diese waren allerdings nicht besetzt, sondern Teil des Heiligen Römischen Reiches. Einer der größten Teile des heutigen Saarlandes gehörte sogar einem Kurfürsten, also jenen für die Kaiserwahl zuständigen Oberhäuptern. Das Kurfürstentum und Erzstift Trier wurde seit 1768 durch Clemens Wenzeslaus von Sachsen regiert, der sich in seiner Amtszeit nur dreimal in Trier blicken ließ und lieber in Koblenz residierte. Der eindeutig größte Teil gehörte allerdings zum Fürstentum Nassau-Saarbrücken, das seit 1768 von Ludwig von Nassau-Saarbrücken regiert wurde. Weitere Teile des späteren Saarlandes gehörten u.a. zu Lothringen und Pfalz-Zweibrücken sowie zu kleineren Herrschaften wie Blieskastel, Saarwellingen oder Dagstuhl. Erste frühindustrielle Versuche fanden vorwiegend in Nassau-Saarbrücken statt, die gesamte Region lebte jedoch wie üblich vom Primärsektor.

Dies änderte sich mit der Französischen Revolution. Seit 1794 standen die linksrheinischen Gebiete unter direkter französischer Verwaltung, sodass auch dort nach und nach das neue französische Recht eingeführt wurde. Das heutige Gebiet des Saarlandes erstreckte sich auf insgesamt vier der neu gegründeten Départements. Der größte Teil gehörte zum Département de la Sarre, dessen Hauptstadt Trier war. Kleinere Bereiche gehörten zum Département de la Moselle, de la Foret und du Mont-Tonnerre. Das Jahr 1798, in dem auch die Umsetzung dieser Verwaltungsstruktur erfolgte, stellt ein Epochenjahr für die Region dar. Die Errungenschaften der Französischen Revolution machten die Untertanen der Fürsten mit einem Schlag zu Citroyens. Das bedeutete Gleichheit vor dem Gesetz, Abschaffung überkommener Privilegien und Meritokratie.

Adels- und Kirchengüter wurden durch den französischen Staat beschlagnahmt und bei den Nationalgüterverkäufen versteigert. Die meist bereits durch wohlhabende Notabeln ersteigerten Ländereien und Immobilien sollten deren Reichtum weiter mehren und zum Grundstock von wichtigen Unternehmen werden. Das heute weltweit operierende Keramikunternehmen Villeroy & Boch hat seinen Sitz immer noch in der damals gekauften Benediktinerabtei Mettlach. Die französische Herrschaft hatte allerdings auch ihre Schattenseiten, so wurden für die Expansionskriege Napoleons immer mehr Soldaten gebraucht, wobei die allgemeine Wehrpflicht bereits seit 1793 bestand. Im Spardepartement allein wurden über 13.500 Wehrpflichtige gezogen, was bei der damals deutlich geringeren Bevölkerungszahl und einer „Verlustquote“ von 37% während der Napoleonischen Kriege einen beachtlichen Beitrag zum französischen Heer darstellt. Die aus den „linksrheinischen“ Départements stammenden Soldaten wurden jedoch nicht anders behandelt, als jene aus dem französischen Kernland. In der Armee konnte man schnell aufsteigen, was auch die Karriere des aus Sarrelibre Saarlouis stammenden Marechal Michel Ney zeigte.

Preußen und Bayern

Trotz der Repressionen durch den Wehrdienst kann nicht von einem „Befreiungskrieg“ die Rede sein.2 Die jungen „Saarländer“ hätten auch in anderen Armeen kämpfen müssen und an den Errungenschaften der Französischen Revolution hielt man auch nach 1815 fest, als Napoleon endgültig besiegt wurde und Preußen auf dem Wiener Kongress zum größten „Anteilseigner“ des heutigen Saarlandes wurde. Es hätte lieber das benachbarte Sachsen annektiert, jedoch sollte der Kongress ein Gleichgewicht im Mächtekonzert der europäischen Staaten bilden und man wollte eine Machtansammlung Preußens in geschlossenem Staatsgebiet verhindern, stattdessen sprach man ihm „die Wacht am Rhein“ zu. Weitere Teile des Saarlandes gehörten zur Bayerischen Rheinpfalz sowie zu den Fürstentümern Birkenfeld und Lichtenberg. Letzteres sollte 1834 in die Preußische Rheinprovinz eingegliedert werden.

Wie schon vom Übergang von Ancien Regime zur französischen Herrschaft blieben viele Beamte auch unter den neuen Herren im Staatsdienst, sodass altgediente Amtsträger bereits drei Verwaltungen dienten. Das französische Rechtssystem blieb in den linksrheinischen Gebieten erhalten und wurde daher auch als „Rheinische Institutionen“ betitelt. Diese Tatsache muss scharf ins Auge gefasst und hervorgehoben werden, sonst kann die weitere Entwicklung des preußischen wie bayerischen Rechts nicht nachvollzogen werden. Die Bauernbefreiung musste nicht erst vollzogen werden und auch die Gewerbefreiheit war ein hohes Gut, das für die wirtschaftliche Entwicklung von enormen Vorteil war. Insbesondere, da die Handelswege durch die neue Grenzziehung erneut gestört wurden und es zu Absatzproblemen kam. Die Aufteilung des Saargebietes zwischen Preußen und Bayern (sowie Birkenfeld) blieb bis nach dem Ersten Weltkrieg erhalten.

Saargebiet bis zur Autonomiezeit

Das heutige Saarland hat seine Existenz drei Dingen zu verdanken: Kohle, Stahl und sinnloser Zerstörung. In den letzten Kriegstagen zerstörten und flutete die deutsche Armee in Nordfrankreich unzählige Kohlegruben, um sie unbrauchbar zu machen und nur „verbrannte Erde“ zurückzulassen. Als Kompensation erhielt Frankreich bei den Friedensverhandlungen die Kohlegruben des zu gründenden Saargebietes, welches in den Paragrafen 45 bis 50 des Versailler Vertrags geregelt wurde. Die Grenzen des neuen „Saargebietes“, das unter Verwaltung des Völkerbundes gestellt wurde, beinhalteten alle Kohlegruben und das Einzugsgebiet der dort arbeitenden Bergleute. Sie entsprachen jedoch nicht den Grenzen des heutigen Bundeslandes. Im Jahr 1935 sollten die Saarländerinnen und Saarländer dann darüber abstimmen, ob sie den gegenwärtigen Status quo, eine Angliederung an Frankreich oder eine Angliederung an Deutschland wünschten. Mit über 90% der Stimmenanteile wurde für eine Rückgliederung an Deutschland gestimmt, das bereits unter Herrschaft der Nationalsozialisten stand und die das Wahlergebnis für Propagandazwecke nutzten. Die Grenzen des Saargebietes wurden beibehalten, nur wurde es in „Reichsland Saarland“ umbenannt und sollte zum neuen Gau Saar-Pfalz gehören.3


Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte die Region zur französischen Besatzungszone, wurde aber 1947 ausgegliedert und in eine eigenständige Verwaltungseinheit mit dem Titel Saarland umgeformt. Die Grenzen wurden im Vergleich zum Saargebiet erweitert und entsprachen ab 1949 nach einer Grenzkorrektur denen des heutigen Bundeslandes. Die begrenzte Autonomie des Saarlandes spiegelte sich in einer eigenen Verfassung von 1947, eigener Staatsangehörigkeit sowie Flagge, Wappen und Hymne wieder. Der Einfluss Frankreichs bspw. auf die Wirtschafts- und Außenpolitik war jedoch enorm. In einer zweiten Saarabstimmung 1955 hatten die Saarländerinnen und Saarländer die Wahl für oder gegen das sogenannte Europastatut zu stimmen. Dies hätte das Saarland zu einer Art „europäischem Terriorium“ machen sollen. Für die noch zu gründenden europäischen Institutionen waren bereits Planungen in und um Saarbrücken vorhanden. Mit einer deutlichen Mehrheit von über 67% entschieden sich die Saarländerinnen und Saarländer gegen das Europastatut und die Rückgliederung an Deutschland erfolgte nach und nach bis zur endgültigen Anbindung an Wirtschaft und Währung 1959.

Politische Zugehörigkeit – Die Grenzen von Betrachtungsraum und -zeit

Warum ist dieser Parforceritt durch die Zugehörigkeitsgeschichte für das Thema Umweltgeschichte der Saarregion nun relevant? Es grenzt das Thema nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ein. Da das französische (Revolutions-)Recht an Saar und Blies – die Blies hebt dabei den späteren bayerischen Teil der Region hervor – Gültigkeit besaß, spielt auch die „Umweltgesetzgebung“ eine wichtige Rolle. Das napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810 zu sog. Belastenden Betrieben setzt hier den Beginn der Untersuchung fest. Der Erste Weltkrieg ist zum einen ein natürliches Ende, da die besondere Kriegssituation zahlreiche neue Themenfelder für die Umweltgeschichte eröffnet, wenngleich relevante Prozesse noch bis in die 1920er Jahre geführt wurden. Die politische Situation in der Saargebietszeit führt ebenfalls zu anderen Fragestellungen, wie der Frage nach politisch motivierten bzw. unterstützten (Umwelt-)Prozessen insbesondere gegen die nun französische Bergverwaltung.

Damit ergibt sich ein Betrachtungszeitraum von 1810 bis 1914/18. Mag dieser zunächst etwas groß und das Projekt daher ambitioniert scheinen, wird dies sogleich durch den Quellenumfang eingegrenzt, denn zur zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist das Material deutlich reichlicher als zur ersten Hälfte.

Literatur

Behringer, Wolfgang/Clemens, Gabriele: Geschichte des Saarlandes (Beck Wissen). München 2009.

Herrmann, Hans-Christian/Schmitt, Johannes (Hg.), Das Saarland. Geschichte einer Region. St. Ingbert 2012.


  1. Der Journalist August Becker umschrieb so die Industrieanlagen im Sulzbachtal. Vgl. Becker, August, Die Pfalz und die Pfälzer. Leipzig 1858, S. 710f. ↩︎
  2. Vgl. Planert, Ute, Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag – Wahrnehmung – Deutung, 1792-1841. Paderborn 2007. ↩︎
  3. An dieser Stelle sei angemerkt, dass die kurze Abhandlung der NS-Vergangenheit nicht den Eindruck der Geschichtsvergessenheit erwecken soll. Allerdings ist das Themenfeld so groß und hat an dieser Stelle nichts mit der eigentlichen Intention des Blogeintrags zu tun, dass darauf verzichtet wurde. Stattdessen soll hier eine Auswahl der umfänglichen Forschungsliteratur bereitgestellt werden:
    Dörrenbecher, Simon, NS-Strafjustiz an der Saar. Nationalsozialistisches Strafrecht in der Rechtsprechung des Sondergerichts Saarbrücken 1939 bis 1945. Berlin 2023.
    Freund, Wolfgang, Volk, Reich und Westgrenze. Deutschtumswissenschaften und Politik in der Pfalz, im Saarland und im annektierten Lothringen 1925-1945. Saarbrücken 2006.
    Herrmann, Hans-Christian (Hg.), Widerstand, Repression und Verfolgung. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus an der Saar. St. Ingbert 2014.
    Muskall, Dieter, NS-Politik an der Saar unter Josef Bürckel. Gleichschaltung – Neuordnung – Verwaltung. Saarbrücken 1995.
    Thalhofer, Elisabeth, Entgrenzung der Gewalt. Gestapo-Lager in der Endphase des Dritten Reiches. Paderborn 2010. ↩︎

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