Schlagwort: Forschungsstand

  • (Kohle-)Bergbau und Umwelt


    Eine Annäherung über das Bergrecht

    Es ist geradezu verblüffend, dass der Bergbau in der umwelthistorischen Forschung bislang kaum eine Rolle zu spielen scheint. Zumindest gilt dies für das 19. Jahrhundert, wobei sich andere Epochen ebenfalls erst jetzt an das Forschungsthema heranzuwagen scheinen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte jüngst einen Forschungsverbund, der sich mit dem Thema im Deutsch-Deutschen Vergleich auseinandersetzte, also das 20. Jahrhundert verstärkt in den Fokus nahm. Ein Sammelband dazu ist 2022 herausgegeben worden und wahrscheinlich werden weitere Qualifikationsarbeiten folgen.1 Umfangreichere Studien sucht man bisweilen jedoch fast vergeblich. Es gibt einen hervorragenden Einführungstext von Frank Uekötter in Band vier der Geschichte des deutschen Bergbaus von 2013, der die Umweltaspekte verschiedener Bergbauarten bzw. abzubauender Rohstoffe beleuchtet.2 Weitere Sammelbände sowie Aufsätze finden sich vereinzelt und auch in einem der neuesten Einführungswerke zur Umweltgeschichte findet sich das Wort „Bergbau“ nur zwei Mal.3 Eine der wenigen Qualifikationsarbeiten stammt von Dirk Neuber aus dem Jahr 2002 und behandelt die Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus. Diese Arbeit zeigt die Auswirkungen des Bergbaus in einem eher ländlichen Raum. Die Umwelteinflüsse in einer urbanen Region wie dem Ruhrgebiet sind umwelthistorisch wohl schwieriger zu fassen, zumindest im Falle von Luft- und Wasserverschmutzung. Allerdings liefert der Bergbau mit Bergsenkungen, Grubenbeben und anderen Bergschäden ganz eigentümliche Umwelteinwirkungen, die auch deswegen gut dokumentiert sind, da sie einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Eigentumsrechten notwendig machen. Eine Annäherung an die Umweltgeschichte des Bergbaus über die Entwicklung des Bergrecht, scheint daher erstrebenswert. Darin spiegelt sich der Umgang mit einem schon seit dem Altertum vielversprechenden Wirtschaftszweig wieder, der im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch Ausmaße annehmen sollte, die kaum vorauszuahnen waren.

    Ancien Régime

    Die Entwicklung des Bergrechts zeigt eine klare Anpassung an die wirtschaftliche Bedeutung des Bergbaus sowie an dessen soziale und ökologische Auswirkungen. Im Ancien Régime waren Entschädigungen für Enteignungen und Schäden am Grundeigentum vorherrschend, jedoch ohne umfassende gesetzliche Regelungen. Das gemeine deutsche Bergrecht, welches Mitbaurechte für Grundeigentümer ermöglichte, wurde durch regionale Bergordnungen wie jene in Zweibrücken 1514 oder der Kurpfälzischen Ordnung von 1517 ergänzt. Diese sahen zumeist finanzielle Entschädigungen vor, während einheitliche Regelungen oder klare Rechtsgrundlagen fehlten. Der Fokus lag auf der Maximierung der Ressourcennutzung im Interesse der Landesherren. Im Fürstentum Nassau-Saarbrücken gab es keine eigene Bergordnung, sodass das Gemeine Deutsche Bergrecht galt und durch einzelne lokale Regelungen ergänzt wurde, die mit den einzelnen Bergbautreibenden individuell abgeschlossen wurden. Hinsichtlich der Steinkohlenförderung wurden diese ohnehin nichtig, da diese ab Mitte des 18. Jahrhunderts direkt durch das Fürstentum betrieben wurde.

    Preußen vor 1815

    Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten spielte zwar für die Saarregion keine Rolle, da nach 1815 weiterhin die französischen Gesetze galten, dennoch lohnt sich ein Blick auf die Gesetzeslage in Hinblick auf die Entwicklung des Allgemeinen Berggesetzes 1865. Preußen begann diesbezüglich zwischen 1784 und 1788 mit ersten Kodifikationsversuchen, die schließlich im Allgemeinen Landrecht von 1794 gipfelten. Dieses Regelwerk definierte wesentliche Prinzipien wie die Abbaupflicht und die Entschädigung für Eingriffe in Privateigentum. Besondere Berücksichtigung fand die Landwirtschaft: Schürfungen waren nur außerhalb von Saat- und Erntezeiten erlaubt, und erfolglose Sucharbeiten mussten durch Renaturierung kompensiert werden. Die Regelungen machten deutlich, dass der volkswirtschaftliche Nutzen des Bergbaus Vorrang vor individuellen Eigentumsrechten hatte, gleichzeitig aber auch die Landwirtschaft nach wie vor der bestimmende Wirtschaftszweig war auf den es Rücksicht zu nehmen galt. Dies zeigt sich auch im Verbot in unmittelbarer Nähe von Baum- und Kohlgärten (§ 148) zu schürfen, sofern es keine explizite Erlaubnis des Bergamtes gab. Grundeigentümer hatten zwar Anspruch auf Entschädigung, mussten aber Eingriffe in ihr Eigentum dulden, wenn dies im Interesse des Staates war. Diese Regelungen reflektierten die pragmatische Haltung des preußischen Staates, der zwischen der Forderung nach wirtschaftlicher Effizienz und den Rechten der Eigentümer eine Balance zu finden suchte. Über das Ausmaß des Bergbaus während des 19. Jahrhunderts hatte das Allgemeine Landrecht allerdings noch keine Vorstellungen. Es ging darin nur um unmittelbare Schäden in direkter Nähe von Gruben. Grubenbeben und dadurch entstehende größerflächige Schädigungen spielten noch keine Rolle.

    Französisches Recht

    Wie andere Gesetze auch galt auch das französische Bergrecht nach 1815 in den linksrheinischen Gebieten weiter und sollte ebenfalls das Allgemeine Berggesetz von 1865 beeinflussen. Die französischen Berggesetze von 1791 und 1810 unterschieden sich in entscheidenden Punkten, die die rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung des Bergbaus beeinflussten. Das Berggesetz von 1791 spiegelt die Ideale der Französischen Revolution wider, indem es das Privateigentum hervorhob, aber zugleich den staatlichen Einfluss auf diesen wichtigen Wirtschaftszweig betonte. Es trennte das Grundeigentum vom Bergbau, wobei der Staat das Hoheitsrecht erhielt, Bergbaukonzessionen für bis zu 50 Jahre zu vergeben. Grundeigentümer konnten bis zu einer Tiefe von 100 Fuß (ca. 32,5 m) ohne Konzession Bodenschätze abbauen, was ein Zugeständnis an das Privateigentum darstellte. Zugleich waren Entschädigungsregelungen vorgesehen, darunter eine Kompensation in doppelter Höhe des entstandenen Schadens für betroffene Besitztümer. Diese Einschränkungen und die begrenzte Laufzeit der Konzessionen erwiesen sich jedoch als Hemmnis für die Bergbauentwicklung.

    Das Gesetz von 1810 reformierte diese Regelungen grundlegend. Das Schürfrecht wurde von der Zustimmung des Grundeigentümers entkoppelt; das Bergamt konnte es auch gegen dessen Willen durchsetzen. Einschränkungen bestanden jedoch weiterhin: Innerhalb von 100 Metern zu Wohngebäuden war das Schürfen untersagt. Artikel 15 führte erstmals die gesetzliche Anerkennung von Bergschäden ein.4 Betreiber mussten für Schäden an Gebäuden oder bei Wasserentzug haften und eine Kaution hinterlegen, um mögliche Entschädigungen abzusichern. Gemäß Artikel 11 durften Bergbaugebäude sowie Schächte nicht näher als 100m von Wohngebäuden errichtet werden.5 Anders als 1791 entfiel das Abbaurecht bis zu 100 Fuß ohne Konzession. Stattdessen wurde der Wert der abgebauten Mineralien in die Entschädigung miteinberechnet, wenn der Grundeigentümer nicht selbst zum Abbau in der Lage war. Konzessionen waren nun außerdem zeitlich unbefristet. Die Neuerungen von 1810 trugen erheblich zur Liberalisierung und Effizienzsteigerung des Bergbaus bei. Während 1791 den Schutz des Privateigentums stärker betonte, stand 1810 die Förderung des Bergbaus im Vordergrund, wenngleich schon die möglichen Schäden durch größere Bergbaubetriebe mitbedacht wurden.

    Entwicklung in Preußen nach 1815

    Da Preußen nach dem Wiener Kongress nicht allein das französische Rechtsgebiet „geerbt“ hatte, sondern zahlreiche weitere, die es neben dem im preußischen Kernland geltenden Gesetz bestehen lies, kam man zu der Einsicht, dass auch hinsichtlich des Bergrechts eine neue, moderne und vor allem einheitliche Gesetzgebung notwendig war. Zwischen 1826 und 1851 wurden sechs umfassende Entwürfe eines allgemeinen Bergrechts erarbeitet, die allerdings nie Rechtsgültigkeit erlangen sollten. Dennoch lohnt es sich diese zu betrachten, da es Einsicht in den Entwicklungsprozess der Bergschadensfrage gibt. Der erste Entwurf von 1833 orientierte sich stark am Allgemeinen Landrecht, setzte jedoch neue Akzente im Bereich der Haftung. Der Entwurf von 1841 ging einen Schritt weiter und berücksichtigte spezifische Schäden wie Trockenlegungen von Brunnen und Verschlammungen durch Grubensenkungen. Die Einführung der Kollektivhaftung im Entwurf von 1846 war ein Meilenstein: Mehrere Bergwerksbetreiber konnten gemeinsam haftbar gemacht werden, wenn die Schuldfrage nicht eindeutig geklärt werden konnte. Die Entwürfe von 1848 und 1850 vertieften die Regelungen zu Wasserentzug und anderen weitreichenden Schäden. Besonders die Aufnahme der doppelten Entschädigung für enteignete Grundstücke aus dem französischen Recht zeigt den Einfluss dieser Gesetzgebung. Gleichzeitig wurde klargestellt, dass auch indirekte Schäden, die nicht unmittelbar auf dem betroffenen Grundstück entstanden, deren Ursache aber durch in der Nähe betriebenen Bergbau lag, entschädigt werden mussten. Trotz der Fortschritte scheiterten die Entwürfe an politischen und rechtlichen Konflikten, insbesondere über die Rolle des Staates und die Rechte der Eigentümer. Dennoch legten sie die Grundlage für das spätere Allgemeine Berggesetz und trugen dazu bei, die Wahrnehmung von Bergschäden in der Gesetzgebung zu verankern.

    Das Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten brachte erstmals eine einheitliche Regelung für das gesamte preußische Staatsgebiet. In den §§ 148 bis 152 wurden Entschädigungsansprüche umfassend geregelt. Schäden mussten von den Bergwerksbesitzern unabhängig von Verschulden oder Vorhersehbarkeit kompensiert werden, auch wenn sie auf entfernten Grundstücken entstanden. Dieser „cas d’accident“ war aus dem französischen Bergrecht entlehnt und bedeutete in diesem Fall, dass das Verschulden nicht unbedingt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzte. Unfälle oder unvorhersehbare Katastrophen verpflichteten ebenfalls zu Schadensersatz. Die Kollektivhaftung wurde in § 149 festgelegt, während § 150 Entschädigungen ausschloss, wenn Gebäude nach Aufnahme des Bergbaubetriebs errichtet wurden. Das Gesetz spiegelt die Ambivalenz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Schutz der Oberfläche wider. Die Regelungen zur Bergpolizei (§§ 196–203) verdeutlichen die staatliche Verantwortung für Sicherheit, liessen jedoch Interpretationsspielräume bei der genauen Auslegung der Sicherungspflichten. Diese Flexibilität führte zu regionalen Unterschieden in der Anwendung und machte die Umsetzung oft von der Haltung der lokalen Bergbehörden abhängig. Dennoch setzte das Gesetz Maßstäbe für die Berggesetzgebung in anderen deutschen Staaten, so wurden viele Regelungen fast wortgleich in das Berggesetz für das Königreich Bayern von 1869 übernommen.

    Fazit

    Bei all den vorgestellten Berggesetzen gilt, dass die Regelungen auf einen Ausgleich der ökonomischen Interessen abzielte und es niemals um eine Art Umweltgesetzgebung oder gar Umweltschutz ging. Die Vermeidung von Schäden war zwar angezeigt, jedoch wurden Bergschäden als notwendiges Übel eingepreist. Ihre Regelung sollten durch die Artikel des Bergrechts erfolgen und – sofern nicht anders möglich – vor Gericht bestritten werden. Während in der Gesetzgebung zu Beginn noch die Landwirtschaft als wichtigster Wirtschaftszweig mit dem Bergbau konkurrierte, fiel dessen gesonderte Erwähnung später gänzlich weg. Schäden an Feldern und Ernten wurden ebenso kompensiert wie andere Schäden auch. Bestimmungen wie die Kollektivhaftung oder die Haftung auch im Katastrophenfall zeigen, dass die Gesetzgeber durchaus um einen Ausgleich bemüht waren, allein um den sozialen Frieden zu wahren. Viele Menschen in Bergbaugegenden profitierten vom Abbau der Bodenschätzen, aber eben nicht alle. Schließlich brachte einem ein regelmäßiges Einkommen nichts, wenn davon das Eigenheim immer wieder aufgebaut werden musste. Ob sich die ursprünglichen Intentionen in der Rechtspraxis widerspiegelten oder ob es auch hier vermehrt zu Urteilen im Sinne von „Industrieschutzzonen“ kam, zeigt sich in den Quellen zu Bergbauschäden.

    Literatur

    Albrecht, Helmuth et al. (Hg.), Bergbau und Umwelt in DDR und BRD. Praktiken der Umweltpolitik und Rekultivierung. Berlin 2022.

    Brüggemeier, Franz-Josef, Grubengold. Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute. München 2018.

    Ingenhaeff, Wolfgang /Bair, Johann (Hg.), Bergbau und Umwelt. 15. Internationaler Montanhistorischer Kongress Sterzing | Hall in Tirol | Schwaz 2016. Wattens 2017.

    Neuber, Dirk, Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus. Von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg. Hannover 2002.

    Sieferle, Rolf Peter, Der unterirdische Wald. Energiekrise und industrielle Revolution. München 1982

    Uekötter, Frank, Bergbau und Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Klaus Tenfelde/Dieter Ziegler (Hg.), Geschichte des deutschen Bergbaus. Band 4: Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert. Münster 2013, 539–570.


    1. Albrecht, Bergbau und Umwelt, 2022. ↩︎
    2. Uekötter, Bergbau und Umwelt, 2013. ↩︎
    3. Kupper, Umweltgeschichte, 38, 131. Kohle wird jedoch stärker Thematisiert, allerdings nicht deren Abbau. ↩︎
    4. Art. 15: Il doit aussi, le cas arrivant de travaux à faire sous des maisons ou lieux d’habitation, sous d’autres exploitations ou dans leur voisinage immédiat, donner caution de payer toute indemnité, en cas d’accident: les demandes ou opposition des intéressés seront, en ce cas, portées devant nos tribunaux et cours. ↩︎
    5. Art. 11. Nulle permission de recherches ni concession de mines ne pourra, sans le consentement formel du propriétaire de la surface, donner le droit de faire des sondes et d’ouvrir des puits ou galeries, ni celui d’établir des machines ou magasins dans les enclos murés, cours ou jardins, ni dans les terrains attenant aux habitations ou clôtures murées, dans la distance de cent mètres des dites clôtures ou des habitations. ↩︎
  • Das Schwarze Californien


    Reiseberichte und -führer als Quellen der Umweltgeschichte

    Reiseberichte und -führer sind eine bisher eher vernachlässigte Quelle der Umweltgeschichte. Sofern es um eine klassische Verschmutzungsgeschichte geht, liegt es zumindest bei Reiseführern nahe, dass diese über die negativen Auswirkungen der Industrialisierung eher schweigen. Aber auch Schweigen – so lehren uns schon die Grundprinzipien der historischen Quellenkritik – kann bei der richtigen Frage durchaus aussagekräftig sein. Gleichfalls kann diese Quellengattung der Technikgeschichte dienen, sofern man bspw. die technische Entwicklung in bestimmten Landstrichen nachvollziehen möchte. Wie Kathrin Maurer in einem Aufsatz über die Popularisierung der Natur durch Baedeker Reiseführer schrieb, gleichen die Naturbeschreibungen darin stark denen der Enzyklopädisten des 18. Jahrhunderts und seien vielmehr Taxonomien als – wie im Aufsatz als Thema verwendet – Zuordnungen zu nationalen Naturräumen und damit Beiträge zur Nationalisierung. Gleichfalls wurden in den Baedekers des 19. Jahrhunderts jedoch bewertende Adjektive für Naturbeobachtungen bzw. -landschaften verwendet. Die eher nüchterne Taxonomie lässt sich ebenfalls auf die Beschreibung von Industrie anwenden. So heißt es im 50. Kapitel des Handbuchs für Reisende in den Rheinlanden von 1856 (9. verbesserte Auflage) über die neu eröffnete Eisenbahn von Aachen nach Crefeld, dass diese an „landschaftlichen Schönheiten […] arm“1 sei. Auf die Industrie wird hingegen genauer eingegangen und sie wird als eher positive Erfahrung beschrieben:

    Die hohen Schornsteine, welche bei Kohlscheid, und gegenüber auf der rechten Seite der Wurm bei Bardenberg allenthalben hervortreten, deuten auf den Reichthum an Steinkohlen hin. Bei Kohlscheid beginnt die starke Neigung, welche die Bahn in das anmuthige walddurchwachsene belebte Wurmthal hinab fuhrt […].2

    Doch auch hier werden Naturbeschreibungen wie das „anmuthige walddurchwachsene […] Wurmthal“ hervorgehoben. Krefeld hingegen „bietet aber ausser ihren Fabriken nichts, was zu einem Aufenthalt veranlassen könnte.“3 Über Essen heißt es:

    Essen ist Mittelpunct eines der ergiebigsten Steinkohlen-Reviere (S. 299), und als Folge davon einer gewerblichen Bewegung, welcher kaum ein Strich Landes in Deutschland gleichkommt. Allenthalben recken hohe Schornsteine ihre Zinnenkrone empor, Eisen- und Zinkhütten, Glashütten u. Dgl. , meist von Actien – Gesellschaften betrieben, vermehren sich mit jedem Jahr. Die Kruppsche Stahlfabrik versendet ihre Erzeugnisse fast durch ganz Europa.4

    Immer wieder werden die Schornsteine als Zeichen des Wohlstandes und der neuen Zeit erwähnt. Die Beschreibungen der Fabriken und Gewerbebetriebe werden oft mit Details zu Besitzverhältnissen, Größe der Arbeiterschaft und Produktion versehen. Konkrete positive Beschreibungen sind jedoch selten und nur einmal lässt sich der Reiseführer dazu hinreißen ein Oberhausener Eisenwerk als eines der „grossartigsten“5 zu bezeichnen, wenngleich dies auch allein auf die tatsächliche Größe des Werks bezogen sein könnte. An Beschreibungen negativer Umwelteinflüsse durch den Rauch dieser Schornsteine fehlt es jedoch gänzlich. Die Industrieorte der Saarregion finden ebenfalls im Reiseführer Erwähnung:

    Die Bahn tritt bald jenseit Bexbach in die reichen *Steinkohlen-Reviere, zugleich in preussisches Gebiet. Das grosse Hüttenwerk der Gebr. Stumm zu Neunkirchen (Jochums Gasth. an der Bliesbrücke) beschäftigt an 800 Menschen und verarbeitet jährlich an 10 Mill. Pfund Eisen. Links unmittelbar an der Bahn eine kleine goth. Capelle als Grabdenkmal eines Hrn. Stumm. Der Zug dringt durch eine 1500′ lange Durchfahrt (Bildstocker Tunnel).

    Die Bahn hat häufig Einschnitte in das felsige Waldgebirge nöthig gemacht und die Lager der Steinkohlen bloss gelegt, wie sie über einander liegen, sich neigen und mannigfachen Störungen unterworfen sind. […] Alle diese Gruben sind königlich, sie werden für Rechnung des preuss. Staats betrieben und sind die Quelle des Gewerbfleisses dieser Gegend, Glashütten, Salmiak- und Berlinerblau-Fabriken, Fabrik feuerfester Steine u. dgl.

    Friedrichsthal, Sulzbach, Duttweiler heissen die letzten Stationen. Abends macht das Feuer der langen Reihe von Coaksöfen bei Duttweiler einen eigenthümlichen Eindruck.Friedrichsthal, Sulzbach, Duttweiler heissen die letzten Stationen. Abends macht das Feuer der langen Reihe von Coaksöfen bei Duttweiler einen eigenthümlichen Eindruck.6

    Auch hier wird das stummsche Eisenwerk rein faktisch abgehandelt, es werden Arbeiterzahl und Ertrag beschrieben. Allein die bei der Beschreibung der Eisenbahnstrecke erwähnten „mannigfachen Störungen“ der Steinkohlenlager könnten auf Grubensenkungen hindeuten. Gleichwohl bleibt die Industrialisierung und die Steinkohlenförderung als „Quelle des Gewerbfleisses“ positiv konnotiert.

    Dass sich in Reiseführern gelegentlich Hinweise zu den negativen Umweltauswirkungen finden lassen zeigt der Journalist und Autor August Becker in seinem 1856/57 geschriebenen und 1858 im Leipziger Verlag J.J. Weber erschienen Buch Die Pfalz und die Pfälzer. Ursprünglich sollte das Buch ein Reiseführer von knapp 200 Seiten werden, stattdessen wurden es 836 Seiten und eines der ersten Werke zur pfälzischen Volkskunde. Das Buch hatte eine Auflage von 2.000 Exemplaren und verkaufte sich schlecht, zumal mehrere ähnliche und preiswertere Reiseführer zur Pfalz in der gleichen Zeit erschienen. Dennoch wurde es ab 1913 mehrmals neu aufgelegt, da es eine wertvolle Quelle für eine wichtige Umbruchszeit darstellt.7 Obwohl Becker sich auf die Bayerische Pfalz konzentrierte, machte er einen Abstecher in die Saarregion:

    Vom Hochwald her zieht ein Zweig des Winterhauchs bis zur Saar, ein rauhes Kohlengebirg, welches diesen Winkel Deutschlands, wo Bayerns und Preußens Ländergebiete an das mächtige Frankreich anstoßen, zu einem schwarzen Californien macht. Preußen besitzt den größten Theil dieses Kohlengebirges, das nur die äußersten Ränder seiner Lager über die pfälzische Grenze erstreckt. Man ist in Bayern gewohnt, den Verlust des Salzkammerguts im reichen Innviertel durch den Wiener Congreß zu beklagen. Man ließ sich auch an der westlichen Grenze die mächtigsten und reichsten Kohlenlager Deutschlands entgehen. Den ungeheuren Einfluß, den diese schwarzen Steine einst auf die Zeit und den Wohlstand der Völker ausüben würden, ahnte man damals noch kaum.8

    Die Industrialisierung befand sich Mitte des 19. Jahrhunderts noch in einer Übergangsphase, dem sogenannten Take-Off. Die Gesellschaft war noch vorrangig agrarisch geprägt, wenngleich die industriellen Inseln immer weiter wuchsen. Gleichsam war die Bedeutung des Industrialisierungsprozesses für die Zeitgenossen unschwer abzusehen und die Bedeutung des Brennstoffes Kohle, wie in Becker hier beschreibt, war ebenfalls jedem bewusst. Beckers Vergleich der Saargegend mit Kalifornien spielte sicherlich auf den kalifornischen Goldrausch von 1848 bis 1854 an, wenngleich er hier positiv konnotiert war und im tatsächlichen Kalifornien die Zustände deutlich chaotischer waren. An der Saar kam es ebenfalls zu einem massiven Bevölkerungswachstum durch Zuzug von Personen, die auf Arbeit in den Gruben und Industriebetrieben hofften. Dies veranlasste den evangelischen Pfarrer aus St. Johann, Friedrich Petersen, den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vor einem „Kalifornien im Kleinen“9 zu warnen. Die Ansiedlung der vor allem katholischen Arbeiter sollte reguliert werden. Die Frage, ob die Saarregion bei den Zeitgenossen allerdings wirklich als eine Art „Kalifornien“ – im positiven Sinne – bezeichnet wurde oder dies allein aus der Feder Beckers stammt, kann nicht eindeutig beantwortet werden.

    Das Sulzbachtal, in dem schon seit der Fürstenzeit Fabriken angesiedelten waren und Kohle abgebaut wurde, beschreibt Becker als ein von der Industrialisierung gezeichnetes Gebiet, in dem die negativen Auswirkungen offen zu Tage treten:

    Das schwarze Thal, welches dort die Grenze bildet, ist das schmutzigste und kothigste, das man treffen kann, aber auch eines der gewerbsamsten. Da liegen mehrere große Glashütten neben einander; darunter die Hütte ‚Marienthal‘ theils auf bayerischem, theils auf preußischem Gebiet, indem der durch ihre Gebäude fließende Bach die Grenze bildet. Durch den schwarzen, fußhohen Koth watet man an den zahllosen Fabrikgebäuden, Arbeiterwohnungen und Wirthshäusern vorüber bis nach dem preußischen Ort Sulzbach, wo die Industrie an allen Ecken und Enden ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat. Der Ort ist bei unverstopfter Nase leicht zu finden, denn es befinden sich hier auch eine Salmiak- und Berlinerblaufabrik, und faulende Thierleichname und Äser füllen die Luft mit mephistischen Dünsten.10

    Die Ambivalenz in Beckers Beschreibung wird schon hier deutlich. Einerseits ist die Gegend schmutzig, andererseits aber auch durchaus gewerbsam. Die Hervorhebung von Fleiß und florierender Wirtschaft ist ein Motiv, das schon im Baedeker und vielen anderen Beschreibungen vorkommt, die Erwähnung von (Industrie-)Schmutz und vor allem Gestank bleibt eine Seltenheit. Die gesammelten Eindrücke von Industrie und Natur in dieser Gegend werden im Folgenden noch ambivalenter:

    Das Thal hat auch seine Romantik. Seine Linien an und für sich sind oft schön und lieblich. Kommt aber die Nacht herbei, so gewinnt es einen märchenhaften und abentheuerlichen Charakter, – die Romantik der Hölle selbst breitet sich über dasselbe und infernalische Wunder beginnen es zu durchleuchten, die das Tageslicht nicht zur Erscheinung kommen ließ. Gewaltige Feuer erhellen die Nacht, feenhaft, furchtbar schön ist der Anblick dieser langen Reihen von aufqualmenden Feuerströmen über den Coaksöfen. Zwischen diesen höllenartigen Feuergluthen hin trägt die Eisenbahn, welche an den Berghalden des Thals hat an der bayerischen Grenze dahinläuft, ihre Passagiere.

    Menschenwerk und Natur vereinigen sich, um dieser Gegend den infernalischen Anstrich zu verleihen. […]Menschenwerk und Natur vereinigen sich, um dieser Gegend den infernalischen Anstrich zu verleihen. […]11

    Ein romantisches Tal mit schönen und lieblichen Linien, mephistische Dünste und höllische Romantik eröffneten sich dem Betrachter demnach bei einer Besichtigung einer der ältesten Industriestätten der Saarregion Mitte des 19. Jahrhunderts. Es wäre natürlich vermessen zu denken, dass diese Eindrücke eine Allgemeingültigkeit besaßen. Becker war Journalist und Schriftsteller, der nicht in der Region lebte. Die dort arbeitenden Menschen hatten sicherlich eine andere Wahrnehmung, wenn diese auch nur in seltenen Fällen überliefert wurde. Ob August Becker jedoch diese Eindrücke selbst gesammelt hat, oder sich diese auf seinem „langjährigen Quellenstudium“ stützen, ist schwer zu beantworten.12 Einige Passagen wirken wie aus dem Baedeker abgeschrieben, so bspw. die Beschreibung von Neunkirchen und dem dortigen Eisenwerk sowie die Bahnfahrt nach Friedrichstal (für die Baedeker Passagen s.o.). Ebenso die Beschreibung der „romantischen Hölle“ scheint einem Reiseführer für die Saarregion entsprungen und ausgeschmückt worden zu sein:

    Interessant ist dieses Thal […] zur Nachtzeit zu durchreisen. Hier setzt die Dunkelheit der menschlichen Thätigkeit keine Gränzen. Die dumpfen Schläge der Eisenhämmer dringen die ganze Nacht hindurch schauerlich zu unsern Ohren und auf allen Gruben fahren die Bergleute bei Nacht so gut wie am Tage aus und ein. Merkwürdig überraschen zu dieser Zeit an verschiedenen Orten, weit hin die Gegend erhellend, die vielen, hoch in die Lüfte schlagenden Flammen der Coaksöfen, und eben so schön ist der Anblick der Glashütten, in denen sich die Arbeiter gewissermaßen im Feuer zu bewegen scheinen.13

    Nun ist dieser aus dem Verlag der Bruch’schen Buchhandlung mit Sitz in St. Johann (heute Saarbrücken) stammende Reiseführer in seiner Beschreibung deutlich positiver. Von einem Gestank liest man an dieser sowie anderen Stellen nichts, wenngleich die erwähnten Hammerschläge auf die immensen Lärmemissionen der Industrieorte hinweisen, welche aber sogleich mit dem Attribut „schauerlich“ romantisch verklärt werden. Das Schweigen über die negativen Auswirkungen der Industrialisierung lässt sich einerseits mit dem Standort des Verlages im beschriebenen Industriebezirk erklären, andererseits wollte man den Absatz des Reiseführers durch eine Reisewarnung vor den Industrieemissionen nicht einschränken. Diese waren zweifellos vorhanden, ob sie wie bei Becker erwähnt wurden oder nicht. Daher kann auch davon ausgegangen werden, dass den Reisenden dieser Umstand in einem Industriegebiet bewusst war. Warum sollte man also einen Ausflug in ein Industriegebiet unternehmen und einen Reiseführer dafür veröffentlichen. Sicherlich war dieser mit seinen Beschreibungen von Gaststätten etc. für Geschäftsreisende hilfreich, diese waren jedoch nicht das hauptsächlich addressierte Publikum. Wie der Herausgeber Adolf Bruch im Vorwort mit Verweis auf den Titel schrieb, war der Zweck des Reiseführers die Beschreibung „der gewerblichen Verhältnisse und des Bergbaues“. Der kleine 90seite Band im Hosentaschenformat richtete sich also an Technikinteressierte, weshalb Bruch im Vorwort darauf hinwies, dass zur Besichtigung der Bergwerke und Fabriken eine vorherige Erlaubnis einzuholen sei und wo diese zu bekommen war.

    Die drei vorgestellten und alle in den 1850ern erschienen Reiseführer – wobei August Beckers Werk zunächst als ein solcher verfasst werden sollte, ob seines Umfanges jedoch ein Werk der pfälzer Landeskunde wurde – hatten unterschiedliche Ziele. Bei Baedeker standen die Beschreibung von Natur und Landschaft im Vordergrund. Die aufkommende Industrie wurde ebenfalls – dort wo sie zu finden war – beschrieben, sowohl faktisch wie an manchen stellen auch positiv wertend. Von negativen Umwelteinflüssen findet man bei Baedeker jedoch nichts, im Gegenteil zu August Becker, der jedoch auch ein größeres Augenmerk auf Naturerfahrungen legte, wie er es selbst im Vorwort beschrieb. Der in der Bruch’schen Buchhandlung erschienene Führer für Reisende auf der Saarbrücker und pfälzischen Ludwigs-Eisenbahn richtete sich hingegen vorrangig an Technikinteressierte, die sich ein Bild der Industrieregion machen wollten. Das Wissen um deren Emissionen wurde wahrscheinlich vorausgesetzt.

    Reiseführer können eine wertvolle Ergänzung für die umwelt- und technikhistorische Forschung sein, sofern man sie dem Thema entsprechend auswählt und mit weiteren Werken vergleicht. Der Vergleich kann einmal zwischen solchen Reiseführern angestellt werden, die in einem ähnlichen Zeitraum erschienen sind, wie dies bei den hier vorgestellten Beispielen der Fall war. Unterschiede und Gemeinsamkeiten geben hierbei jedoch mehr Aufschluss über den Zweck bzw. das angestrebte Publikum der entsprechenden Publikation. Andererseits kann der Grund für Unterschiede durch die Analyse weiterer Quellen ergänzt werden. Ein Vergleich zwischen Reiseführern aus unterschiedlichen Jahrzehnten hingegen zeigt den technischen Fortschritt auf, kann aber ebenso die Wandlung – meist das Zurückdrängen – der Natur zeigen. Ein besonderes Waldstück oder eine Beschreibung hervorragender Landschaften, die in einem Führer von 1850 noch abgedruckt wird, aber in einer Ausgabe von 1900 fehlt muss nicht unbedingt in den Vorlieben des Autors begründet liegen. Natürlich ist eine Analyse dieser Quellengattung ohne die Ergänzung weiterer Dokumente wenig zielführend.

    Quellen

    Baedeker, Karl, Die Rheinlande von der Schweizer bis zu holländischen Grenze. Schwarzwald, Vogesen, Haardt, Odenwald, Taunus, Eifel, Siebengebirge, Nahe, Mosel, Ahr, Wupper und Ruhr ; Handbuch für Reisende. 9. Aufl. Coblenz 1856.

    Becker, August, Die Pfalz und die Pfälzer. Leipzig 1858.

    Bruch, Adolf, Führer für Reisende auf der Saarbrücker und pfälzischen Ludwigs-Eisenbahn und in Mannheim, Schwetzingen, Heidelberg, Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden, Bibrich, Mainz u. Worms. Mit besonderer Berücksichtigung der gewerblichen Verhältnisse und des Bergbaues in der Umgebung von Saarbrücken. Repr. d. Ausg. St. Johann-Saarbrücken 1852. Saarbrücken 1983.

    Literatur

    Bock, Benedikt, Baedeker & Cook. Tourismus am Mittelrhein 1756 bis ca. 1914. Frankfurt a.M. u.a. 2010.

    Brüggemeier, Franz-Josef, Schranken der Natur. Umwelt Gesellschaft Experimente 1750 bis heute. Essen 2014.

    Burg, Peter, Unter neuen Herren. Die Saarregion zwischen 1815 und 1850, in: Hans-Christian Herrmann/Johannes Schmitt (Hg.), Das Saarland. Geschichte einer Region. St. Ingbert 2012, 112–160.

    Fesser, Gerd, August Becker. Pfälzische Profile. Kaiserslautern 2005.

    Maurer, Kathrin, Mit Herrn Baedecker ins Grüne. Die Popularisierung der Natur in Baedekers Reisehandbüchern des 19. Jahrhunderts, in: Adam Paulsen/Anna Sandberg (Hrsg.), Natur und Moderne um 1900. Räume – Repräsentationen – Medien. Bielefeld 2014, 89–101.


    1. Baedeker, Rheinland 1856, 287. ↩︎
    2. Ebd. 288. ↩︎
    3. Ebd. 289. ↩︎
    4. Ebd. 303. ↩︎
    5. Ebd. ↩︎
    6. Ebd. 131. ↩︎
    7. Fesser, August Becker, 37-41. ↩︎
    8. Becker, Pfalz, 705. ↩︎
    9. Zit.n. Burg, Unter neuen Herren, 156. ↩︎
    10. Becker, Pfalz, 710f. ↩︎
    11. Ebd. ↩︎
    12. Becker, Pfalz, V. ↩︎
    13. Bruch, Führer, 20. ↩︎

  • Ein Wort zu Quellen und Forschungsstand

    …und warum sich niemand für die Umweltgeschichte des Saarlandes interessiert


    Die Saarregion war mit Ruhr und Schlesien eines der bedeutendsten Montanreviere im 19. Jahrhundert. Umweltgeschichtlich handelt es sich allerdings um eine terra nova, während das Ruhrgebiet sich in den 80er und 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einer besonderen Aufmerksamkeit innerhalb dieses noch jungen Forschungsgebietes erfreute. Dass das schlesische Revier damals noch keine umwelthistorische Aufarbeitung erfahren hat, mag vor allem an der politischen Situation kurz vor bzw. nach Öffnung des Eisernen Vorhangs gelegen haben. Mittlerweile wäre ein Blick dorthin lohnenswert.

    Die Quellen für die Umweltgeschichte der Saarregion liegen jedoch nicht an schwer zu erreichbaren Orten und der bisherige Forschungsfokus auf Industriegeschichte sowie -kultur lassen die Vernachlässigung der Umweltgeschichte noch seltsamer erscheinen. Ludwig Linsmayer und Peter Wettmann-Jungblut mutmaßen, dass dafür die „strukturelle Schwäche der ökologischen Bewegung im kleinsten deutschen Flächenstaat“ verantwortlich sei. „Bündnis 90/Die Grünen schafften erstmals 1994 den Einzug in den saarländischen Landtag, womit man der (west)deutschen Entwicklung etwa 10-15 Jahre hinterherhinkte. 1999 scheiterten sie wiederum deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde, die bei den Landtagswahlen der Jahre 2004, 2009 und 2012 nur jeweils knapp genommen werden konnte.“1 Und in der Tat blieb die Partei auch 2017 und 2022 unterhalb von 5%. Diese Argumentation kann jedoch nur bedingt überzeugen, da die Partei in zahlreichen kommunalen Gremien bereits vertreten war und entsprechend politischen Einfluss ausüben konnte. Des Weiteren wurde die Umweltgeschichte des Ruhrgebietes seit den späten 1980er Jahren mit einem Höhepunkt in den 1990er Jahren aufgearbeitet. In Nordrhein-Westfalen schafften es Bündnis 90/Die Grünen nur vier Jahre früher in den Landtag, wenngleich die Ergebnisse seither stabiler waren.

    Dennoch, die Schwäche der saarländischen Grünen scheint daher mehr mit politischem Ungeschick und Personalien zu tun zu haben als mit einer strukturellen Schwäche der ökologischen Bewegung. Nimmt man vergleichsweise die Mitgliederzahlen der NABU Landesverbände, zeigt sich, dass der saarländische Landesverband mehr als drei Mal so viele Mitglieder pro Einwohner hat, wie das bevölkerungsreiche Nordrhein-Westfalen (SL 2020: 19.181 ; NRW 2020: ca. 109.000). Vergleicht man die Zahlen von 2012, als die Themen Klimawandel und Biodiversität medial noch nicht in dem Maße präsent waren wie in den letzten Jahren, kommt man für das Saarland sogar auf einen fast sechs Mal höheren pro Kopf Anteil als für Nordrhein-Westfalen (SL 2012: 17.576 ; NRW 2012: ca. 60.000).2 Die aktuellen Mitgliederzahlen für den BUND-Naturschutz haben eine ähnliche Relation, wenngleich die Gesamtzahlen deutlich geringer sind (Saarland 2020: 6.220 ; NRW 2020: 36.394).3 Das Interesse an den Themen Umwelt und Natur ist also gegeben.

    Bleibt man bei der Betrachtung des bisherigen Forschungsstandes beim Bild der terra nova sind allein die Küstenlinien zu erahnen. Neben dem bereits zitierten Aufsatz von Ludwig Linsmeyer und Peter Wettmann-Jungblut, die zu einer Erforschung des Themas aufrufen, finden sich nur wenige weitere Werke, die umweltgeschichtliche Themen mehr oder weniger anreißen. Friedrich Hellwig war einer der ersten Autoren, der sich dezidiert mit einer die Saarregion betreffenden historischen Umweltproblematik beschäftigte. Im Saarbrücker Bergmannskalender erschien 1992 ein Aufsatz über einen Umweltkonflikt in den 1830er Jahren die Errichtung mehrerer Koksöfen betreffend. Für den kurzen Aufsatz verwendete er Quellen aus dem Landeshauptarchiv Koblenz und dem Hauptstaatsarchiv Düsseldorf.4 Im selben Jahr erschien der von Eva Labouvie und Richard van Dülmen herausgegebene Band „Die Saar. Geschichte eines Flusses“. Fast alle Aufsätze schneiden umweltrelevante Themen zumindest an. Hervorzuheben sind die Beiträge von Antje Fuchs, die sich mit der vorindustriellen Nutzung des Flusses beschäftigt,5 Joachim Jacob, welcher die Nutzung während der Industrialisierung beschreibt,6 sowie derjenige von Armin Heinen, der insbesondere über den Zustand im 20. Jahrhundert berichtet.7 Bis auf letzteren verwendet allerdings kein Beitrag Archivquellen.

    Stefan Leiner schneidet ein wichtiges Thema der Umweltgeschichte in seiner 1994 erschienen Dissertationsschrift zu Migration und Urbanisierung des Saar-Lor-Lux-Raumes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Auf knapp zwanzig Seiten befasst er sich mit den Wohnverhältnissen sowie Hygiene- und Gesundheitsbedingungen von Arbeitsmigranten in der Region sowie der ausgeübten staatlichen Kontrolle.8 Hans-Henning Krämer liefert in der Geschichte der Trinkwasserversorgung an der Saar von 1999 eine der umfangreichsten Arbeiten, die für eine regionale Umweltgeschichte relevant sind, ohne dabei jedoch die Untersuchung in einen größeren umwelthistorischen Rahmen einzubetten.9 Nichtsdestotrotz ist dieses Werk in großen Teilen diesem Forschungsfeld zuzuordnen, da es quellenbasiert von zahlreichen Ressourcenkonflikten sowie hygienisch-gesundheitlichen Mängeln während der Industrialisierung berichtet. Eine leider unveröffentlichte Staatsexamensarbeit am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte von 2001 befasst sich mit dem Thema der Technikfolgenabschätzung und deren Wahrnehmung in der Region von 1873 bis 1914.10 Willmes wertet darin Artikel zu Luft- und Gewässerverschmutzung sowie Bergschäden aus, die in Saarbrücker Zeitung, Saarbrücker Gewerbeblatt, dem Bergmannsfreund sowie dem Saarbrücker Kreisblatt veröffentlicht wurden. Archivquellen werden nicht verwendet.

    Die Arbeiten zur Umweltgeschichte der Region sind folglich an zwei Händen abzuzählen. Neben bereits angeführten möglichen Gründen für dieses Forschungsdesiderat spielt sicherlich auch die Erschließungsproblematik des Themas anhand der Quellen eine Rolle. Während der Zugang bei zeitgeschichtlichen Arbeiten relativ einfach über Akten aus Umweltministerien, Naturschutzbehörden oder Naturschutzvereinen zu bewältigen ist, sucht man in den Aktenbeständen des 19. Jahrhunderts – was selbstredend natürlich ebenfalls für frühere Epochen gilt – vergebens nach dem Schlagwort „Umwelt“. Gerade der Naturschutzgedanke hat sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts ausgebildet, wobei sich immerhin schon Akten zur sogenannten Naturdenkmalpflege und ersten Naturschutzbestrebungen in den Beständen des Landesarchivs Saarbrücken finden lassen. Einen weiteren Zugriff auf einen im weitesten Sinne so zu bezeichnenden Umweltschutzgedanken bieten Akten zu Verschönerungs- oder Verkehrsvereinen, die sich um die Jahrhundertwende gründeten. Die Akten zur Konzessionierung gewerblicher Anlagen, die schon nach dem napoleonischen Dekret von 1810 sowie der preußischen Gewerbeordnung 1845 notwendig waren, geben stellenweise Aufschluss über vorhandene – oder auch nicht vorhandene – Interessenskonflikte sowie befürchtete negative Folgen bei der Errichtung von Fabrikanlagen. Die Aktenbestände des Bergamts Saarbrücken bieten nicht nur zahlreiche Einblicke in den Umgang mit Grubenschäden, sondern beinhalten gleichfalls mannigfaltige Informationen zu Ressourcenkonflikten um Wasser sowie Flussverunreinigungen, aber auch zum Gesundheitswesen. Gesundheit und Hygiene sind nicht erst seit der Coronapandemie Themen der Umweltgeschichte, die sich gleichfalls in den Aktenbeständen des 19. Jahrhunderts finden lassen. Die Gefahr von Krankheiten, die eine Folgeerscheinung der Industrialisierung und deren Nebenerscheinungen wie der raschen Urbanisierung waren, beschäftigte bereits die Zeitgenossen. Hilfreiche Aktenbestände bieten bspw. die Jahresberichte der Kreisärzte, in denen sich Befunde zu Ortsbegehungen und den vorherrschenden hygienischen wie gesundheitlichen Zuständen finden lassen. Allerdings fehlt – mit Ausnahme der Akten zu Grubenschäden – eine Quellengattung völlig: Prozessakten, mit denen andere Forschungsarbeiten zur Umweltgeschichte des Ruhrgebiets arbeiten11 , fehlen völlig, da sie ein Opfer von Kriegsschäden wurden.

    Neben den Archivquellen werden ebenso gedruckte Quellen genutzt: So lässt sich in Zeitungen die Rezeption zeitgenössischer Umweltprobleme nachvollziehen, in Reiseführern bzw. -berichten der Blick von außen erfassen und mit Drucksachen von bzw. für (Berg-)Arbeiter die Sicht auf Umweltproblematiken der unteren Schichten bzw. die erzieherischen Absichten der Arbeitgeber aufzeigen. Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, werden Themen wie Umwelteinwirkungen durch die Land- und Forstwirtschaft weitestgehend ausgeklammert.


    1. Wettmann-Jungblut, Peter/Linsmayer, Ludwig, Von schwarzen Flüssen und versinkenden Dörfern. Plädoyer für eine umwelthistorische Erweiterung der saarländischen Regionalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Brigitte Kasten (Hrsg.), Historische Blicke auf das Land an der Saar. 60 Jahre Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung. Saarbrücken 2012, 371–394, hier 373. ↩︎
    2. NABU-Landesverband Saarland (Hg.), Jahresbericht 2020. Lebach 2021, S. 4. Online unter: https://nabu-saar.de/fileadmin/Landesverband/Formalien/NABU-Saarland-Jahresbericht-2020.pdf Stand: 07.02.22 ; NABU-Landesverband Nordrhein-Westfalen (Hg.), Jahresbericht 2020. o.O. 2021, S. 18. Online unter: https://nrw.nabu.de/imperia/md/content/nrw/jahresberichte/jahresbericht-nrw-2020-web.pdf Stand: 07.12.23. ↩︎
    3. BUND Landesverband Saarland (Hg.), Jahresbericht 2020, Saarbrücken 2021, S. 20. Online unter: https://www.bund-saar.de/fileadmin/saarland/Jahresberichte/Jahresbericht2020final.pdf Stand: 07.02.22 ; BUND Landesverband Nordrhein-Westfalen (Hg.), Jahresbericht 2020, Düsseldorf 2021, S. 28. Online unter: https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/BUND_NRW/BUNDjahresbericht_2020_web2_01_newCpsIt.pdf Stand: 07.12.23. ↩︎
    4. Hellwig, Friedrich, Die Koksproduktion an der Saar im Widerstreit der Interessen. Industrie und Umwelt – Ein Streitpunkt schon vor 150 Jahren, in: Saarbrücker Bergmannskalender, 1992, 269–276. ↩︎
    5. Fuchs, Antje, Der genutzte Fluß. Vorindustrielles Gewerbe an der Saar, in: Richard van Dülmen/Eva Labouvie (Hrsg.), Die Saar. Geschichte eines Flusses. St. Ingbert 1992, 50–72. ↩︎
    6. Jacob, Joachim, Aneignung und Entfremdung eines Elements. Der industrielle Gebrauch der Saar, in: Richard van Dülmen/Eva Labouvie (Hrsg.), Die Saar. Geschichte eines Flusses. St. Ingbert 1992, 140–160. ↩︎
    7. Heinen, Armin, Der künstliche Strom. Leben in begrenzter Natur, in: Richard van Dülmen/Eva Labouvie (Hrsg.), Die Saar. Geschichte eines Flusses. St. Ingbert 1992, 161–180. ↩︎
    8. Leiner, Stefan, Migration und Urbanisierung. Binnenwanderungsbewegungen ; räumlicher und sozialer Wandel in den Industriestädten des Saar-Lor-Lux-Raumes 1856 – 1910. Saarbrücken 1994. ↩︎
    9. Krämer, Hans-Henning, Vom Dorfbrunnen zum Wasserwerk. Geschichte der Trinkwasserversorgung an der Saar. Blieskastel 1999. Sucht man nach dem Begriff „Umwelt“, so kommt dieser nur im Zeitrahmen des 20. Jahrhunderts vor, in dem Umweltbehörden in das Geschehen eingreifen. An umwelthistorsichen Werken ist im Literaturverzeichnis lediglich Franz Josef Brüggemeiers „Blauer Himmel über der Ruhr“ zu finden. ↩︎
    10. Willmes, Alexander, Technikfolgen und ihre Wahrnehmung im Saargebiet von 1873-1914. Eine Rezeptionsgeschichtliche Untersuchung. Unveröffentlichte Staatsexamensarbeit. Saarbrücken 2001. ↩︎
    11. Vgl. Geissler, Stephanie, Wem gehört die Stadt? Umweltkonflikte im städtischen Raum zur Zeit der Früh- und Hochindustrialisierung in Aachen und Duisburg. Münster 2016 ; Gilhaus, Ulrike, „Schmerzenskinder der Industrie“. Umweltverschmutzung, Umweltpolitik und sozialer Protest im Industriezeitalter in Westfalen 1845 – 1914. Paderborn 1995. ↩︎