Schlagwort: Rechtsgeschichte

  • (Kohle-)Bergbau und Umwelt


    Eine Annäherung über das Bergrecht

    Es ist geradezu verblüffend, dass der Bergbau in der umwelthistorischen Forschung bislang kaum eine Rolle zu spielen scheint. Zumindest gilt dies für das 19. Jahrhundert, wobei sich andere Epochen ebenfalls erst jetzt an das Forschungsthema heranzuwagen scheinen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte jüngst einen Forschungsverbund, der sich mit dem Thema im Deutsch-Deutschen Vergleich auseinandersetzte, also das 20. Jahrhundert verstärkt in den Fokus nahm. Ein Sammelband dazu ist 2022 herausgegeben worden und wahrscheinlich werden weitere Qualifikationsarbeiten folgen.1 Umfangreichere Studien sucht man bisweilen jedoch fast vergeblich. Es gibt einen hervorragenden Einführungstext von Frank Uekötter in Band vier der Geschichte des deutschen Bergbaus von 2013, der die Umweltaspekte verschiedener Bergbauarten bzw. abzubauender Rohstoffe beleuchtet.2 Weitere Sammelbände sowie Aufsätze finden sich vereinzelt und auch in einem der neuesten Einführungswerke zur Umweltgeschichte findet sich das Wort „Bergbau“ nur zwei Mal.3 Eine der wenigen Qualifikationsarbeiten stammt von Dirk Neuber aus dem Jahr 2002 und behandelt die Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus. Diese Arbeit zeigt die Auswirkungen des Bergbaus in einem eher ländlichen Raum. Die Umwelteinflüsse in einer urbanen Region wie dem Ruhrgebiet sind umwelthistorisch wohl schwieriger zu fassen, zumindest im Falle von Luft- und Wasserverschmutzung. Allerdings liefert der Bergbau mit Bergsenkungen, Grubenbeben und anderen Bergschäden ganz eigentümliche Umwelteinwirkungen, die auch deswegen gut dokumentiert sind, da sie einen Ausgleich zwischen unterschiedlichen Eigentumsrechten notwendig machen. Eine Annäherung an die Umweltgeschichte des Bergbaus über die Entwicklung des Bergrecht, scheint daher erstrebenswert. Darin spiegelt sich der Umgang mit einem schon seit dem Altertum vielversprechenden Wirtschaftszweig wieder, der im Laufe des 19. Jahrhunderts jedoch Ausmaße annehmen sollte, die kaum vorauszuahnen waren.

    Ancien Régime

    Die Entwicklung des Bergrechts zeigt eine klare Anpassung an die wirtschaftliche Bedeutung des Bergbaus sowie an dessen soziale und ökologische Auswirkungen. Im Ancien Régime waren Entschädigungen für Enteignungen und Schäden am Grundeigentum vorherrschend, jedoch ohne umfassende gesetzliche Regelungen. Das gemeine deutsche Bergrecht, welches Mitbaurechte für Grundeigentümer ermöglichte, wurde durch regionale Bergordnungen wie jene in Zweibrücken 1514 oder der Kurpfälzischen Ordnung von 1517 ergänzt. Diese sahen zumeist finanzielle Entschädigungen vor, während einheitliche Regelungen oder klare Rechtsgrundlagen fehlten. Der Fokus lag auf der Maximierung der Ressourcennutzung im Interesse der Landesherren. Im Fürstentum Nassau-Saarbrücken gab es keine eigene Bergordnung, sodass das Gemeine Deutsche Bergrecht galt und durch einzelne lokale Regelungen ergänzt wurde, die mit den einzelnen Bergbautreibenden individuell abgeschlossen wurden. Hinsichtlich der Steinkohlenförderung wurden diese ohnehin nichtig, da diese ab Mitte des 18. Jahrhunderts direkt durch das Fürstentum betrieben wurde.

    Preußen vor 1815

    Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten spielte zwar für die Saarregion keine Rolle, da nach 1815 weiterhin die französischen Gesetze galten, dennoch lohnt sich ein Blick auf die Gesetzeslage in Hinblick auf die Entwicklung des Allgemeinen Berggesetzes 1865. Preußen begann diesbezüglich zwischen 1784 und 1788 mit ersten Kodifikationsversuchen, die schließlich im Allgemeinen Landrecht von 1794 gipfelten. Dieses Regelwerk definierte wesentliche Prinzipien wie die Abbaupflicht und die Entschädigung für Eingriffe in Privateigentum. Besondere Berücksichtigung fand die Landwirtschaft: Schürfungen waren nur außerhalb von Saat- und Erntezeiten erlaubt, und erfolglose Sucharbeiten mussten durch Renaturierung kompensiert werden. Die Regelungen machten deutlich, dass der volkswirtschaftliche Nutzen des Bergbaus Vorrang vor individuellen Eigentumsrechten hatte, gleichzeitig aber auch die Landwirtschaft nach wie vor der bestimmende Wirtschaftszweig war auf den es Rücksicht zu nehmen galt. Dies zeigt sich auch im Verbot in unmittelbarer Nähe von Baum- und Kohlgärten (§ 148) zu schürfen, sofern es keine explizite Erlaubnis des Bergamtes gab. Grundeigentümer hatten zwar Anspruch auf Entschädigung, mussten aber Eingriffe in ihr Eigentum dulden, wenn dies im Interesse des Staates war. Diese Regelungen reflektierten die pragmatische Haltung des preußischen Staates, der zwischen der Forderung nach wirtschaftlicher Effizienz und den Rechten der Eigentümer eine Balance zu finden suchte. Über das Ausmaß des Bergbaus während des 19. Jahrhunderts hatte das Allgemeine Landrecht allerdings noch keine Vorstellungen. Es ging darin nur um unmittelbare Schäden in direkter Nähe von Gruben. Grubenbeben und dadurch entstehende größerflächige Schädigungen spielten noch keine Rolle.

    Französisches Recht

    Wie andere Gesetze auch galt auch das französische Bergrecht nach 1815 in den linksrheinischen Gebieten weiter und sollte ebenfalls das Allgemeine Berggesetz von 1865 beeinflussen. Die französischen Berggesetze von 1791 und 1810 unterschieden sich in entscheidenden Punkten, die die rechtliche und wirtschaftliche Entwicklung des Bergbaus beeinflussten. Das Berggesetz von 1791 spiegelt die Ideale der Französischen Revolution wider, indem es das Privateigentum hervorhob, aber zugleich den staatlichen Einfluss auf diesen wichtigen Wirtschaftszweig betonte. Es trennte das Grundeigentum vom Bergbau, wobei der Staat das Hoheitsrecht erhielt, Bergbaukonzessionen für bis zu 50 Jahre zu vergeben. Grundeigentümer konnten bis zu einer Tiefe von 100 Fuß (ca. 32,5 m) ohne Konzession Bodenschätze abbauen, was ein Zugeständnis an das Privateigentum darstellte. Zugleich waren Entschädigungsregelungen vorgesehen, darunter eine Kompensation in doppelter Höhe des entstandenen Schadens für betroffene Besitztümer. Diese Einschränkungen und die begrenzte Laufzeit der Konzessionen erwiesen sich jedoch als Hemmnis für die Bergbauentwicklung.

    Das Gesetz von 1810 reformierte diese Regelungen grundlegend. Das Schürfrecht wurde von der Zustimmung des Grundeigentümers entkoppelt; das Bergamt konnte es auch gegen dessen Willen durchsetzen. Einschränkungen bestanden jedoch weiterhin: Innerhalb von 100 Metern zu Wohngebäuden war das Schürfen untersagt. Artikel 15 führte erstmals die gesetzliche Anerkennung von Bergschäden ein.4 Betreiber mussten für Schäden an Gebäuden oder bei Wasserentzug haften und eine Kaution hinterlegen, um mögliche Entschädigungen abzusichern. Gemäß Artikel 11 durften Bergbaugebäude sowie Schächte nicht näher als 100m von Wohngebäuden errichtet werden.5 Anders als 1791 entfiel das Abbaurecht bis zu 100 Fuß ohne Konzession. Stattdessen wurde der Wert der abgebauten Mineralien in die Entschädigung miteinberechnet, wenn der Grundeigentümer nicht selbst zum Abbau in der Lage war. Konzessionen waren nun außerdem zeitlich unbefristet. Die Neuerungen von 1810 trugen erheblich zur Liberalisierung und Effizienzsteigerung des Bergbaus bei. Während 1791 den Schutz des Privateigentums stärker betonte, stand 1810 die Förderung des Bergbaus im Vordergrund, wenngleich schon die möglichen Schäden durch größere Bergbaubetriebe mitbedacht wurden.

    Entwicklung in Preußen nach 1815

    Da Preußen nach dem Wiener Kongress nicht allein das französische Rechtsgebiet „geerbt“ hatte, sondern zahlreiche weitere, die es neben dem im preußischen Kernland geltenden Gesetz bestehen lies, kam man zu der Einsicht, dass auch hinsichtlich des Bergrechts eine neue, moderne und vor allem einheitliche Gesetzgebung notwendig war. Zwischen 1826 und 1851 wurden sechs umfassende Entwürfe eines allgemeinen Bergrechts erarbeitet, die allerdings nie Rechtsgültigkeit erlangen sollten. Dennoch lohnt es sich diese zu betrachten, da es Einsicht in den Entwicklungsprozess der Bergschadensfrage gibt. Der erste Entwurf von 1833 orientierte sich stark am Allgemeinen Landrecht, setzte jedoch neue Akzente im Bereich der Haftung. Der Entwurf von 1841 ging einen Schritt weiter und berücksichtigte spezifische Schäden wie Trockenlegungen von Brunnen und Verschlammungen durch Grubensenkungen. Die Einführung der Kollektivhaftung im Entwurf von 1846 war ein Meilenstein: Mehrere Bergwerksbetreiber konnten gemeinsam haftbar gemacht werden, wenn die Schuldfrage nicht eindeutig geklärt werden konnte. Die Entwürfe von 1848 und 1850 vertieften die Regelungen zu Wasserentzug und anderen weitreichenden Schäden. Besonders die Aufnahme der doppelten Entschädigung für enteignete Grundstücke aus dem französischen Recht zeigt den Einfluss dieser Gesetzgebung. Gleichzeitig wurde klargestellt, dass auch indirekte Schäden, die nicht unmittelbar auf dem betroffenen Grundstück entstanden, deren Ursache aber durch in der Nähe betriebenen Bergbau lag, entschädigt werden mussten. Trotz der Fortschritte scheiterten die Entwürfe an politischen und rechtlichen Konflikten, insbesondere über die Rolle des Staates und die Rechte der Eigentümer. Dennoch legten sie die Grundlage für das spätere Allgemeine Berggesetz und trugen dazu bei, die Wahrnehmung von Bergschäden in der Gesetzgebung zu verankern.

    Das Allgemeine Berggesetz für die Preußischen Staaten brachte erstmals eine einheitliche Regelung für das gesamte preußische Staatsgebiet. In den §§ 148 bis 152 wurden Entschädigungsansprüche umfassend geregelt. Schäden mussten von den Bergwerksbesitzern unabhängig von Verschulden oder Vorhersehbarkeit kompensiert werden, auch wenn sie auf entfernten Grundstücken entstanden. Dieser „cas d’accident“ war aus dem französischen Bergrecht entlehnt und bedeutete in diesem Fall, dass das Verschulden nicht unbedingt Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraussetzte. Unfälle oder unvorhersehbare Katastrophen verpflichteten ebenfalls zu Schadensersatz. Die Kollektivhaftung wurde in § 149 festgelegt, während § 150 Entschädigungen ausschloss, wenn Gebäude nach Aufnahme des Bergbaubetriebs errichtet wurden. Das Gesetz spiegelt die Ambivalenz zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Schutz der Oberfläche wider. Die Regelungen zur Bergpolizei (§§ 196–203) verdeutlichen die staatliche Verantwortung für Sicherheit, liessen jedoch Interpretationsspielräume bei der genauen Auslegung der Sicherungspflichten. Diese Flexibilität führte zu regionalen Unterschieden in der Anwendung und machte die Umsetzung oft von der Haltung der lokalen Bergbehörden abhängig. Dennoch setzte das Gesetz Maßstäbe für die Berggesetzgebung in anderen deutschen Staaten, so wurden viele Regelungen fast wortgleich in das Berggesetz für das Königreich Bayern von 1869 übernommen.

    Fazit

    Bei all den vorgestellten Berggesetzen gilt, dass die Regelungen auf einen Ausgleich der ökonomischen Interessen abzielte und es niemals um eine Art Umweltgesetzgebung oder gar Umweltschutz ging. Die Vermeidung von Schäden war zwar angezeigt, jedoch wurden Bergschäden als notwendiges Übel eingepreist. Ihre Regelung sollten durch die Artikel des Bergrechts erfolgen und – sofern nicht anders möglich – vor Gericht bestritten werden. Während in der Gesetzgebung zu Beginn noch die Landwirtschaft als wichtigster Wirtschaftszweig mit dem Bergbau konkurrierte, fiel dessen gesonderte Erwähnung später gänzlich weg. Schäden an Feldern und Ernten wurden ebenso kompensiert wie andere Schäden auch. Bestimmungen wie die Kollektivhaftung oder die Haftung auch im Katastrophenfall zeigen, dass die Gesetzgeber durchaus um einen Ausgleich bemüht waren, allein um den sozialen Frieden zu wahren. Viele Menschen in Bergbaugegenden profitierten vom Abbau der Bodenschätzen, aber eben nicht alle. Schließlich brachte einem ein regelmäßiges Einkommen nichts, wenn davon das Eigenheim immer wieder aufgebaut werden musste. Ob sich die ursprünglichen Intentionen in der Rechtspraxis widerspiegelten oder ob es auch hier vermehrt zu Urteilen im Sinne von „Industrieschutzzonen“ kam, zeigt sich in den Quellen zu Bergbauschäden.

    Literatur

    Albrecht, Helmuth et al. (Hg.), Bergbau und Umwelt in DDR und BRD. Praktiken der Umweltpolitik und Rekultivierung. Berlin 2022.

    Brüggemeier, Franz-Josef, Grubengold. Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute. München 2018.

    Ingenhaeff, Wolfgang /Bair, Johann (Hg.), Bergbau und Umwelt. 15. Internationaler Montanhistorischer Kongress Sterzing | Hall in Tirol | Schwaz 2016. Wattens 2017.

    Neuber, Dirk, Energie- und Umweltgeschichte des Niedersächsischen Steinkohlenbergbaus. Von der Frühen Neuzeit bis zum Ersten Weltkrieg. Hannover 2002.

    Sieferle, Rolf Peter, Der unterirdische Wald. Energiekrise und industrielle Revolution. München 1982

    Uekötter, Frank, Bergbau und Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, in: Klaus Tenfelde/Dieter Ziegler (Hg.), Geschichte des deutschen Bergbaus. Band 4: Rohstoffgewinnung im Strukturwandel. Der deutsche Bergbau im 20. Jahrhundert. Münster 2013, 539–570.


    1. Albrecht, Bergbau und Umwelt, 2022. ↩︎
    2. Uekötter, Bergbau und Umwelt, 2013. ↩︎
    3. Kupper, Umweltgeschichte, 38, 131. Kohle wird jedoch stärker Thematisiert, allerdings nicht deren Abbau. ↩︎
    4. Art. 15: Il doit aussi, le cas arrivant de travaux à faire sous des maisons ou lieux d’habitation, sous d’autres exploitations ou dans leur voisinage immédiat, donner caution de payer toute indemnité, en cas d’accident: les demandes ou opposition des intéressés seront, en ce cas, portées devant nos tribunaux et cours. ↩︎
    5. Art. 11. Nulle permission de recherches ni concession de mines ne pourra, sans le consentement formel du propriétaire de la surface, donner le droit de faire des sondes et d’ouvrir des puits ou galeries, ni celui d’établir des machines ou magasins dans les enclos murés, cours ou jardins, ni dans les terrains attenant aux habitations ou clôtures murées, dans la distance de cent mètres des dites clôtures ou des habitations. ↩︎
  • Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810

    Eines der ersten Umweltgesetze

    Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810 gilt als eines der ersten umfangreichen „Umweltgesetze“. Zwar gab es bereits zuvor zumeist lokale oder regionale Regelungen, die den Bau und Betrieb von Einrichtungen behandelte, die als „belastend“ galten, aber keine auf „nationaler“ Ebene. Ähnlich verhielt es sich in anderen Staaten. Dadurch, dass ab 1791 die alte „royale“ Gesetzgebung in Frankreich nach und nach abgeschafft oder reformiert wurde, kam es zu Gesetzeslücken. Die proklamierten Freiheitsrechte – insbesondere hinsichtlich des Privatbesitzes – führten ebenso zu einem Anstieg von Emissionen. Wer eine Fabrik besaß, sollte damit machen können was er wollte. Wenngleich die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden Umweltbelastungen nicht zuletzt durch die gesteigerte Kriegsproduktion während der französischen Expansion an bestimmten Orten für die dort lebenden Menschen unerträglich. Daher war es notwendig, eine umfassende Regelung auf den Weg zu bringen:

    Das Napoleonische Dekret vom 15. Oktober 1810 gilt als eines der ersten umfangreichen „Umweltgesetze“. Zwar gab es bereits zuvor zumeist lokale oder regionale Regelungen, die den Bau und Betrieb von Einrichtungen behandelte, die als „belastend“ galten, aber keine auf „nationaler“ Ebene. Ähnlich verhielt es sich in anderen Staaten. Dadurch, dass ab 1791 die alte „royale“ Gesetzgebung in Frankreich nach und nach abgeschafft oder reformiert wurde, kam es zu Gesetzeslücken. Die proklamierten Freiheitsrechte – insbesondere hinsichtlich des Privatbesitzes – führten ebenso zu einem Anstieg von Emissionen. Wer eine Fabrik besaß, sollte damit machen können was er wollte. Wenngleich die Industrialisierung noch in den Kinderschuhen steckte, wurden Umweltbelastungen nicht zuletzt durch die gesteigerte Kriegsproduktion während der französischen Expansion an bestimmten Orten für die dort lebenden Menschen unerträglich. Daher war es notwendig, eine umfassende Regelung auf den Weg zu bringen:

    Napoleon, Kaiser der Franzosen, König von Italien, Schützer des Rheinischen Bundes, Vermittler der Schweiz etc. , etc. , etc.

    Auf den Bericht unseres Ministers vom Innern; Eingesehen die Beschwerden verschiedener Partikularen gegen die Manufakturen und Werkstätten, deren Nutzung ungesunde oder widrige Ausdunstungen veranlassen; Den Bericht, der über diese Anstalten von der Chimiesection der Klasse der physischen und mathematischen Wissenschaften des Instituts erstattet worden; Nach Anordnung unseres Staatsrathes; Haben Wir dekretiert und dekretieren folgendes:

    Erster Artikel: Von Verkündigung dieses Dekrets an, dürfen die Manufakturen und Werkstätten, welche einen ungesunden oder widrigen Geruch verbreiten; nicht mehr ohne Erlaubniß der Verwaltungsbehörden angelegt werden […]1

    Hervorzuheben ist dabei der Fokus auf den Geruch der Emissionen. Dies erklärt sich daraus, dass zu dieser Zeit noch keine ausreichenden Messmethoden und damit Grenzwerte für bestimmte schädliche Stoffe gab. Die einzige „verlässliche“ aber eben auch subjektive Messmethode war der Geruchssinn. Gleichzeitig glaubte man, dass sich Krankheiten durch sogenannte Miasmen verbreiteten, Ausdünstungen, die bei der Zersetzung organischer Stoffe freigesetzt würden. Diese Theorie ging auf den antiken griechischen Arzt Hippokrates von Kos zurück und wurde von den Gelehrten der Aufklärung rezipiert, blieb unter Medizinern jedoch bis in die 1870er Jahre relevant, als sich die Erkenntnisse der Bakteriologie verbreiteten.

    Eine für das Dekret direkt relevante Erkenntnis der Aufklärung war jene, dass saure Gase angeblich eben jene Miasmen desinfizierten. Diese Desinfektionsmethode wurde unter anderem durch die Veröffentlichung Traité des moyens de désinfecter l’air verbreitet. Das 1801 erschienene Buch stammte aus der Feder von Louis-Bernard Guyton de Morveau. Je ein Exemplar wurde durch den damaligen Innenminister Jean-Antoine Chaptal (Innenminister von 1800 bis 1804), ebenfalls Chemiker, an alle französische Präfekten gesendet.2 Auch im deutschsprachigen Raum fand das Werk durch eine Übersetzung des Mediziners Franz-Heinrich Martens zahlreiche Leser. Chaptal und Morveau waren außerdem an einem Gutachten beteiligt, das die Schädlichkeit von Fabriken in Hinblick auf die Ausarbeitung einer Regelung zu deren Errichtung einschätzen sollte. Da Chaptal selbst Fabrikbesitzer war, ist es wenig verwunderlich, dass das Urteil über deren Schädlichkeit milde ausfiel. Mehr noch, er warnte vielmehr vor zu vielen Regulierungen, da dies die wirtschaftliche Entwicklungen einschränken würde. Die Beschwerden über Fabrikemissionen mehrten sich jedoch spätestens ab Beginn der Kontinentalsperre 1806 und der damit hochgefahrenen industriellen Produktion. Ein neues Dekret sollte daher ausgeglichener sein und sowohl die Interessen der Anwohner sowie der Industriellen berücksichtigen.3

    Das Dekret vom 15. Oktober 1810 teilte die Betriebe in drei Kategorien ein. Die erste Kategorie umfasste diejenigen Fabriken und Anlagen, die starke Gerüche ausstießen. Deren Errichtung musste in allen Gemeinden in einem Umkreis von fünf Kilometern publik gemacht werden, sodass die dort lebende Bevölkerung Einsprüche gegen den Bau der Betriebe erheben konnte. Sollten Einsprüche erhoben worden sein, wurde durch den Präfekturrat ein Gutachten erstellt, das wiederum dem Staatsrat vorgelegt wurde. Dieser sollte schließlich über die Genehmigung des Betriebs entscheiden. Die Errichtung von Fabriken in den beiden anderen Kategorien wurden auf lokaler Ebene entschieden, aber auch hier musste die Bevölkerung durch sogenannte commodo- und incommodo-Umfragen mit einbezogen werden. Die entsprechenden Betriebe wurden im Dekret explizit benannt und diese Liste wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts stetig erweitert. Vor der Gültigkeit des Dekrets errichtete Anlagen genossen Bestandsschutz.

    Die Regelungen galten in Frankreich mit Anpassungen bis 1917. Als Teil der französischen Gesetzgebung behielt das Dekret auch in allen linksrheinischen Départements nach dem Machtwechsel 1815 Gültigkeit und wurde dort erst durch neue Gewerbeordnungen abgelöst. Die preußische Gewerbeordnung von 1845 orientierte sich dabei stark am französischen Recht und wurde durch das napoleonische Dekret beeinflusst. Festzuhalten ist außerdem, dass das Dekret vom 15. Oktober 1810 keine allumfassende Regelung gegen negative Umwelteinflüsse darstellte. Es ging vorrangig um Geruchsbelästigungen. Wasserverschmutzung, Bodenkontamination, Lärm oder Arbeitsschutz spielten darin keine Rolle. Es finden sich jedoch in den Einwendungen der betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner durchaus Argumente, die andere negative Faktoren miteinbeziehen. Wenngleich das Dekret bei weitem nicht perfekt war, stellt es doch einen ersten Versuch dar einen Interessensausgleich zwischen Betroffenen und Industrie zu schaffen sowie allen Beteiligten eine Partizipationsmöglichkeit zu bieten. Das Ausmaß der Industrialisierung war 1810 kaum zu erahnen und damit einhergehenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt ebenso wenig.

    Quellen

    o.A., Präfektur-Acten des Rheindepartements. Dritter Jahrgang 1812. Düsseldorf 1812.

    Guyton de Morveau, Louis-Bernard/Martens, Franz Heinrich, Abhandlung über die Mittel die Luft zu reinigen, der Ansteckung zuvorzukommen und die Fortschritte derselben zu hemmen. Weimar 1802.

    Literatur

    Jarrige, François/Le Roux, Thomas, The Contamination of the Earth. A History of Pollutions in the Industrial Age. Übersetzt von Janice Egan und Michael Egan. Cambridge, MA 2020.

    Massard-Guilbaud, Geneviève, Histoire de la pollution industrielle. France, 1789 – 1914. Paris 2010.


    1. Präfectur-Acten des Rheindepartements vom Jahr 1812, 183. ↩︎
    2. Jarrige/Le Roux, Contamination, 65-69. ↩︎
    3. Jarrige/Le Roux, Contamination, 77-79. ↩︎